Dienstag, 11. Mai 2010
C
China
s. Po-i chih: Schrift aus dem 9. Jh. mit einer Erzählung, die einen Zeitsprung mit Missing Time schildert: Mann gelangt tief herab in die Unterwelt, findet ein fremdes Reich mit eigener Sonne usw., gelangt durch ein Tor (Raum-Zeit-Tor) wieder in die Heimat, in der während seiner wenigen im anderen Reich verbrachten Stunden mehrere Generationen veringen.
s. Liu Tschen: Zeitsprungerlebnis mit Missing Time beim Besuch einer Höhle und in Gegenwart von fremden Personen
s. Liu Yi: Zeitsprungerlebnis mit Missing Time beim Besuch eines Drachenpalastes auf dem Grund des Dongting-Sees (Unterwasserörtlichkeit) bzw. beim Verweilen des jungen Erdenmannes in der Heimat seiner nichtmenschlichen Gemahlin.
s. Sun Wukong: Roman von ca. 1550, schildert eine Himmelsreise mit Zeitsprung á la Missing Time
s. Taoismus: Zwei Überlieferungen über Zeitsprungerlebnisse mit Missing Time beim Besuch einer Höhle
D
Dänemark Überlieferung: Eine Braut wandert während der Hochzeitsfeier selbstvergessen durch die Felder und kommt an einem Hügel vorbei, wo die Elfen sich vergnügen. Der Hügel ruht auf roten Säulen. das Kleine Volk bietet der Braut einen Becher Wein an und sie reiht sich in den Tanz ein. Dann eilt sie wieder nach Hause. Dort kann sie ihre Familie nicht finden. Das Dorf ist völlig verändert. Schließlich ruft eine alte Frau, die ihr Klagen hört: Warst du es also, die bei der Hochzeit meines Großvaters vor hundert Jahren verschwand? Als sie diese Worte hört, bricht das arme Mädchen zusammen und haucht sein Leben aus. (Jacques Vallée: Dimensionen. Frankfurt am Main 1994)
Die Überlieferung ist bei Beispiel für einen Zeitsprung mit Missing Time beim Besuch eines Elfenhügels. Elfenhügel heißen in Dänemark Elverhoj; bis heute nennt man einen bronzezeitlichen Erdhügel bei Barup Elverhoj.
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Deutschland s. Engelhard von Langheim s. Hessen s. Kyffhäuser s. Odenberg s. Pfalz s. Rheinland-Pfalz s. Singerberg s. Thüringen
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Dilatation /Zeitdilatation / Dilatationsflug
s. Missing Time
s. Zwillingsparadoxon
E
Einstein, Albert
s. Zwillingsparadoxon
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Elfenhügel
Mythologie: Der Besuch eines Elfenhügels kann mit einem Zeitsprung verbunden sein. s. Dänemark: Überlieferung. Parallele: Berginneres, s.d.
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Elfentanz Mythologie: Die Teilnahme an einem Elfentanz kann mit einem Zeitsprung verbunden sein.
Irland: Beispiel mit Winning Time: Ein junger Hirte nahm an einem Elfentanz teil und befand sich plötzlich, ohne zu wissen wie, im Elfenland. Er blieb dort ein paar Jahre und fasste dann in einen ihm verbotenen Springbrunnen. Im selben Moment befand er sich wieder zu Hause bei seinen Schafen und musste erfahren, dass während der im Elfenland verbrachten Jahre hier nur wenigen Minuten vergangen waren. (Katherine Briggs: Dictionary of Fairies. London 2003)
Motive: Raum-Zeit-Tor, Watergate, Elfenwelt
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Elfenwelt
Der Besuch einer Elfenwelt kann mit einem Zeitsprung verbunden sein.
s. Elfentanz + Elfenhügel
s. Thomas of Erceldoune
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Blick in eine andere Zeit: Ein Knabe, der in Barr mit seinen Eltern ein altertümliches Gebäude bewohnte, hatte den Auftrag, täglich Rebwellen vom Speicher herab in die Küche zu tragen. Eines Tages vergaß er über dem Spielen seine gewöhnliche Arbeit zu verrichten und musste nun spät abends noch ohne Licht auf den Speicher gehen, um sein Rebholz zu holen. Als er oben angelangt war, fiel ihm eine ungewöhnliche Helle auf, die zu einem Fenster hereinkam, an einer Stelle der Wand, wo er sonst niemals ein Fenster wahrgenommen hatte. Die Neugierde trieb ihn an das Fenster. Er blickte hindurch in eine helle, geräumige Stube mit wunderbar aussehenden Möbeln. Am Tisch saß bei einer altertümlichen, sehr hell brennenden Lampe eine alte Frau und las, wie es dem Knaben vorkam, in einem geschriebenen Buche. Ein alter, seltsam gekleideter Mann ging in der Stube auf und ab. Der Knabe beobachtete diese Erscheinung mehr als zwanzig Minuten lang. Endlich nahm er in seinem jugendlichen Übermut seine Mütze und warf damit nach der alten Frau, die verwundert in die Höhe schaute und den Knaben ansah. Darauf ging in dem erleuchteten Zimmer eine große Doppeltüre auf und es füllte sich mit vielen altfränkisch gekleideten Personen. Das Zimmer schien dem Knaben immer größer und heller zu werden. Er sprang die Treppe hinab, um seine Eltern und Geschwister zu rufen, damit sie die seltsame Komödie sehen sollten, die, wie er meinte, in einem Nachbarhause vor sind ging. Als der Knabe mit seinen Eltern und Geschwistern wieder auf den Speicher kam, war alles dunkel. Die weggeworfene Mütze wurde nie wieder gefunden. Auch war nie eine Spur von einem Fenster auf dem Speicher zu finden. Der Knabe widersprach sich niemals, und er blieb immer bei seiner ersten Schilderung. (Fritz Bouchholtz: Elsässische Sagen. Berlin, Leipzig 1922)
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Engelhard von LangheimZisterzisensermönch des Klosters Langheim, Bayern. Lebte bis 1210. Er stellte im späten 12. Jh. für die am Obermain im Bistum Bamberg gelegene Zisterziensterabtei drei Sammlungen von Wundergeschichten zusammen, von denen zwei bis heute erhalten sind. Eine davon ist das Liber diversarum miraculorum: es wurde ca. 1188 zusammengestellt; erhalten in einer Redaktion vom Anfang des 13. Jh. Darin befindet sich die älteste schriftliche Version der Geschichte Der Bräutigam im Paradies. Engelhard will die Story gehört haben von einem "ungelehrten Mann", der sie wiederum von einem Studierten erfahren haben wollte. In der Geschichte macht der Protagonist einen Besuch im "Paradies", verbunden mit einem Zeitsprung im Sinne von Missing Time: Ein Herzogssohn wollte heiraten und ließ alles für das Fest vorbereiten. Vor der Vermählung ritt er zu einer am Berghang gelegenen Kirche und verrichtet dort ein inbrünstiges Gebet. Bei seiner Rückkehr traf er einen alten Mann, der auf einem Maultier ritt, und lud ihn spontan zum Fest ein. Der Fremde sagte zu und erschien zur Feier. Beim Abschied lud der Fremde den Herzogssohn ein, nach drei Tagen seinen Besuch zu erwidern und diesmal zu ihm zu kommen. Der Jüngling folgte der Aufforderung und fand an einer vorher verabredeten Stelle das Maultier des alten Mannes, das ihn durch steile Bergpfade zu einem lieblichen Gefilde führte. Vögel begrüßten den Besucher mit süßem Gesang und begleiteten ihn zur Wohnung "der Seligen". Dort wurde er von seinem Gastgeber freundlich empfangen und bewirtet; er weilte etwa drei Stunden "im Paradies". Er kehrte nach Hause zurück, klopfte an die Pforte seines Schlosses, das merkwürdigerweise in ein Kloster umgestaltet worden war, wie er später erfuhr, durch seine Eltern. Hier erfuhr er, dass inzwischen dreihundert Jahre vergangen waren, seitdem er zum Besuch des alten Mannes aufgebrochen war. Der Abt des Klosters empfing den Herzogssohn mit Freuden, und man bereitete ihm ein Gastmahl. Doch in Augenblick, als der Jüngling das Brot berührte, wurde er innerhalb eines Augenblickes zu einem Greis und starb; zuerst glaubte man, er schlafe nur. Man beerdigte ihn neben seiner vor langer, langer Zeit verstorbenen Braut. (John Koch: Die Siebenschläferlegende, ihr Ursprung und ihre Verbreitung. Leipzig 1883)
F
Frankreich
s. Elsass: Blick in eine andere Zeit
G
GUINGAMOR
Hautpfigur einer mittelalterlichen Dichtung, die einen Zeitsprung erlebte.
Le Lay de Guingamor:
Alte französisch-bretonische Lai, basierend auf einer älteren bretonischen Überlieferung.
Das Werk entstand irgendwann in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts und ist unsigniert.
Es ist nur in einem einzigen Manuskript, einer Kopie aus dem 13. Jh., erhalten: MS Nouvelles Aquisitions Francaises 1104, Bibliotheque Nationale Paris. Das Original datiert man anhand der für das 12. Jahrhundert üblichen Versform und aufgrund der Sprache in das 12. Jh.
Im 19. Jahrhundert wurde von etlichen Gelehrten vermutet, die Verfasserin sei Marie de France, das konnte jedoch weder bestätigt noch widerlegt werden.
Das Werk wurde in einer Zeit geschrieben, als man die inselkeltische Elfenwelt benutzte und in den Lai narrati für den höfischen Geschmack der damaligen Zeit umdeutete und umgestaltete. Damit entstand eine eigene Literaturgattung.
Inhalt:
Die Königin von Britannien verliebt sich in Guingamor, den Neffen des Königs. Sie lud ihn zu sich in ihr Gemach, er wies sie jedoch zurück. Sie bestrafte ihn, indem sie ihn zu einer Jagd nach einem weißen Eber verleitete. Bei der Jagd auf dieses Tier waren bereits zehn Ritter verschollen.
Während Guingamor den Eber verfolgte, geriet er immer tiefer in den Wald, überquerte einen Fluss, ritt weiter und sah plötzlich vor sich einen Palast, ein
Schloss, erbaut aus grünen Marmelsteinen,
die fügsam und ohne Mörtel sich einen
......................ein Wunderbau........
Über dem Eingang stand ein silberner Turm, das Gebäude hatte Türen aus Gold und Elfenbein, das schönste Gebäude, das Guingamor jemals sah. Er trat ein durch das Tor und sah von der Halle aus Zimmer, die aus Steinen des Paradieses zu bestehen schienen. Der Palast war jedoch vollkommen menschenleer und verlassen. Guingamor ritt weiter, immer noch auf der Suche nach dem Eber und seinem diesen verfolgenden Hund. Er hatte vollkommen die Orientierung verloren und wusste nicht mehr, wie er nach Hause kommen sollte. Schließlich kam er in offenes Land und sah eine Quellen neben einem Olivenbaum. Das Wasser war klar und rein und floss über Steine aus Gold und Silber. Darin badete die schönste Frau, die er je gesehen hatte, während eine zweite Maid sich das Haar kämmte und wusch. Die schöne Maid lud ihn ein, für ein paar Tage mit zu ihr zu kommen. Sie ritten gemeinsam zum Palast,
den noch vor wenig Stunden
der Held so öd gefunden.
Der war in seiner goldnen Pracht
zu lautem Leben nun erwacht.
Zu seiner Verblüffung waren dort die zehn verschollenen Ritter, und man vergnügte sich mit gutem Essen und Musik. (Treffen anderer in die Zeit gereister Personen)
Drei Tage lang blieb Guingamor dort und wollte dann wieder nach Hause. Seine Maid aber riet ihm, zu bleiben.
Dreihundert Jahre sind vergangen,
seitdem wir dich bei uns empfangen.
Dein Ohm, der dir den Bracken gab,
ihn und sein Volk deckt längst das Grab
samt deinen Freunden und Verwandten.
Längst tot sind alle, die dich kannten.
Guingamor glaubte ihr nicht, versprach aber, wenn es wirklich so sei, werde er wieder zu ihr zurückkehren. Seine Maid mahnte ihn:
Bist du durch jenen Fluss geschwommen
und wieder in dein Land gekommen,
sollst du nicht trinken und nicht essen!
Die Warnung darfst du nicht vergessen,
willst du dich nicht mit Schaden
und schwerem Weh beladen.
Die Maid brachte ihn bis an den Fluss und ließ ihn mit einem Boot überfahren. Drüben ritt Guingamor stundenlang durch den Wald, ohne einen Weg heraus zu finden. Er traf einen Köhler, den er nach dem König befragte und danach, auf welchem Schloss sich dieser gerade aufhalte. Der Köhler antwortete, das wisse er nicht, überhaupt sei der König, nach dem er frage, seit über dreihundert Jahren tot und dessen Schloss wäre längst eine Ruine. Alte Leute aber, so der Köhler, erzählten noch manchmal in alten Sagen vom König und seinem Neffen, der eines Tages zur Jagd gegangen, in den Wald geritten und niemals wieder gesehen worden war.
Guingamor berichtete vom Palast und der Elfenmaid und den drei Tagen, die er dort verbracht hatte. Als er weiterritt, erkannte er, dass Land und Leute ihm vollkommen fremd waren. Gegen Abend übermannte ihn der Hunger, und trotz der Mahnung seiner Maid pflückte er drei Äpfel von einem wilden Apfelbaum neben dem Wege und aß sie.
Da ward er plötzlich alt und krank,
dass kraftlos er vom Rosse sank.
Lahm und gebrochen wie ein Greis
liegt er im Moos und wimmelt leis.
Der Köhler war Guingamor gefolgt und hatte alles mitangesehen. Gerade als er diesem zu Hilfe eilen wollte, sah er zwei Frauen erscheinen. Diese setzten Guingamor auf sein Pferd und führten ihn zum Fluss, wo sie ihn auf ein Boot luden und mit ihm verschwanden.
Über das weitere Schicksal des Guingamor ist nichts bekannt. Sind Guingamor und die zehn verschollenen Ritter Personen, die theoretisch wiederkehren könnten?
(www.archive.org/stream/guingamorlayvalt00mariuoft/guingamorlayvalt00mariuoft_djvu.txt
+ Franz Kampers: Das Lichtland der Seelen und der heilige Gral. Köln 1916)
Parallelen zu dieser Erzählung sind die Fälle, wo jemand eine Elfenwelt besuchte und dabei einen Zeitsprung erlebte.
H
I
K
Kanada
s. Bilqula Indianer
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Kärnten, Österreich
In Kärnten kennt man mehrere Sagen, bei denen Personen einen unerklärlichen Zeitsprung erlebten.
Sage 1:
Während der Hochzeit eines Mannes erschien plötzlich unter den Gästen ein Fremder. Dieser lud den Bräutigam ein, ihm vor das Haus zu folgen.
Sie waren erst wenige Schritte gegangen, so hatte die Landschaft mit einem Male ein verändertes Aussehen. Lag eben noch tiefer Schnee auf Wald und Feld, so prangte sie jetzt im schönsten Frühlingsgrün. Verwundert betrachtete der Bräutigam eine Weile diese Wandlung ...
Da gedachte jener, dass er zu den Hochzeitsgästen zurückkehren müsse und verabschiedete sich. Doch kaum hatte er ein paar Schritte getan, da kam ihm alles so gar fremd vor, so ganz anders die Häuser, anders die Tracht und die Sprache der Leute. Er betrat sein Haus, doch fremde Menschen kamen ihm daraus entgegen. Erstaunt sagte er den Leuten, dass er vor ganz kurzer Zeit von der Hochzeitstafel weggegangen sei und nannte seinen Namen. Da erinnerten sich alte Leute einer Sage, die sie erzählten gehört, dass vor vielen Jahren der damalige Besitzer des Hauses an seinem Hochzeitstag verschwunden sei, und dass man nie mehr von ihm vernommen habe. Als man sodann im Kirchenbuch nachsah, fand man, dass dies vor 200 Jahren geschehen war.
(Georg Graber: Sagen aus Kärnten. Leipzig 1927)
Sage 2:
Auf einem Berg waren Mäher und Heurecherinnen an der Arbeit. Mittags wurde Rast gemacht und eine junge Dirn stieg etwas weiter hangaufwärts, um die schöne Aussicht zu genießen.
Da gewahrte sie an der Rückseite des Felsens eine kleine offene Tür.
Sie trat ein und kam in ein kellerartiges Gemach. Als sie wieder hinausgehen wollte, war die Tür verschlossen. Missmutig legte sie sich hin und fiel in Schlaf.
Als sie erwachte, stand die Tür schederweit offen, und sie trat ins Freie. Doch wie erstaunte sie, als sie auf der Wiese nicht mehr die Leute von vorhin erkannte, sondern lauter fremde Gesichter sah. Sie ging nun zum Bauern; dieser schlug ein Kreuz um das andere, berührte sie und überzeugte sich endlich, dass sie ein lebendes Wesen und kein Geist sei. Da erfuhr sie erst, dass sie gerade am Jahrestag ihres Verschwindens zurückgekehrt sei und also ein Jahr im Schönofen geschlafen habe. Die Felsentür blieb seitdem verschlossen und unauffindbar.
(Georg Graber: Sagen aus Kärntne. Leizpig 1927)
Sage 3:
Der gedrehte Stein
Bauernknechte waren dabei, in der Nähe des "gedrehten Steins" Almgras zu mähen. Während der Rast ging Mirtl in Gedanken an seine Braut ein wenig umher und stieß aus Versehen mit dem Kopf an den gedrehten Stein.
Wie er aufschaute, da war im Stein ein kleines Türlein aufgesprungen, und ohn viel zu denken, wie es seine Art war, ging er hinein. Er erreichte einen felsigen Gang, dann kam er in einen großen Saal - da blinkte es von eitel Gold und Silber. Eine schöne Frau kam ihm entgegen und wies ihm einen silbernen Sessel an. Er setzte sich verwundert nieder und sah mit offenem Mund und offenen Augen auf die Herrlichkeit. Im Handumdrehen schlief er dann ein.
Nach einer Weile erwachte er und dachte: "Herrschaft! Da verschlaf ich in dem G'schoss und die Mannder schlagen die Mahd ohne mich zusammen." Da polterte er hinaus und trug dabei noch einige Beulen davon, die scharfe Alpenluft aber frischte ihn bald auf. "Han i deachta wohl tramt", und er schaute sich um, der Stein war grau und glatt wie zuvor.
Von einem Türlein nichts mehr zu sehen. Dann ging er zur Almwiese. Aber kein Mäher war zu sehen. Eilig stieg er bergab zum Bauernhof. Der Großknecht wusch sich gerade am Hausbrunnen.
"Jessas, du bist's, Mirtl! Ja wo wärst denn die sieben Jahr? Eppa gar bei die Ungr'schen drent?" Nun kann man sich denken, dass dem guten Mirtl, der ohnedies kein Kirchenlicht war, der Verstand schier stehenblieb.
Der gedrehte Stein soll sich im Lavanttal befunden haben auf der Koralpe. Es war ein Eingang zu einem "Schatzgewölbe", so glaubte man, weil mal eine Tür am Stein zu sehen war und dann wieder nicht. Auch habe der Stein sich drehen können und man habe kleine Männchen heraus- und hereintreten sehen.
(Georg Graber: Sagen aus Kärnten. Leipzig 1927)
Sage 4:
Ein Knecht ging mit einer Sense auf eine Almwiese nahe des Spitzlofens, einer Felswand im Kaltwinkel, mähen. Als er beim Spitzlofen vorüberging, bemerkte er eine Tür. Er wunderte sich, denn hier hatte es sein Lebtag lang keine Tür gegeben.
Er hing seine Sense auf und trat ein. In einem großen Saal blickte er einige Male neugierig umher und verließ dann wieder den Raum. Wie er heraustrat, fand er zu seinem Erstaunen seine Sense nicht mehr. Auf dem Boden aber lag an der Stelle, an der er sie abgestellt hatte, eine ganz verrostete Sense ohne Griff. Er dachte, dass ihm jemand einen Possen gespielt habe, aber als er nach Hause ging, kannte ihn niemand. Nach langem Hin- und Herreden stellte sich heraus, dass er offenbar hundert Jahre in der Felsenhöhle verbracht hatte.
(Georg Graber: Sagen und Märchen aus Kärnten, Graz 1935)
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Kyffhäuser
Bergrücken südöstlich des Unterharzes an der Grenze Thüringens zu Sachsen-Anhalt.
Der Berg wird in Sagen und Überlieferungen in Zusammenhang gebracht mit Zeitschläfern, Zeitreiseereignissen im Sinne von Missing Time, Besuch des Berginneren mit Zeitsprungeffekt, Zeitsprungerlebnissen in Gegenwart von Zwergen und möglichen Begegnungen mit Zeitreisenden.
Zeitschläfer im Berg:
Im Kyffhäuser schlafe, so der Volksglaube, ein Kaiser bis in ferne Zukunft. Dann aber werde er wieder herauskommen.
Anfangs wurde diese Überlieferung auf Friedrich II. bezogen, den Enkel des Friedrich Barbarossa. Schon bald nach dem Tod des Kaisers in Apulien in 1250 und seiner späteren Beisetzung in Palermo tauchte das Gerücht auf, er sei gar nicht gestorben. Ein Spruch einer der seit der Antike bis ins Mittelalter orakelnden Sibyllen, den man auf Friedrich den II. bezog, schürte das Gerücht noch mehr und verbreitete es in Süditalien und Sizilien:
Verborgenen Todes wird er die Augen schließen und fortleben;
tönen wird es unter den Völkern: "Er lebt und lebt nicht!"
Mehrmals tauchten Hochstapler auf, die sich als den wiedergekehrten Kaiser Friedrich ausgaben und viele Menschen damit narrten. So tauchte 1284 ein angeblich aus dem Zeitschlaf erwachter Kaiser Friedrich in Lübeck auf, ein anderer "falscher Friedrich" war Bruder Heinrich in Colmar. 1295 tauchte in Oberdeutschland ein wiedergekehrter Friedrich auf, der in Esslingen verbrannt wurde, als man ihn entlarvte. Der bekannteste wiederkehrende Friedrich aber war wohl Tile Kolup.
Das früheste bekannte schriftliche Zeugnis dieser Überlieferung stammt aus einer Thüringischen Chronik von 1426, die den schlafenden Kaiser Friedrich II. erwähnt. Der Verfasser, der Eisenacher Stiftsgeistliche Johannes Rothe, fügte hinzu, der schlafende Kaiser lasse sich von Zeit zu Zeit einmal vor Zeugen sehen.
Das "Volksbüchlein von Kaiser Friedrich" von 1519 beschrieb erstmals den verstorbenen Kaiser als im Kyffhäuser hausend, bezog dies jedoch auf Kaiser Friedrich Barbarossa. Beide Kaiser wurde in der Folgezeit miteinander verwechselt und munter durcheinandergeworfen.
Eine Flugschrift aus dem Jahr 1537 spricht vom schlafenden Kaiser im Berg. Ein Schafhirte habe im Berg den Kaiser getroffen, der ihm seine Wohnung darinnen zeigte sowie seine Waffen, Harnische, Schwerter und Büchsen, mit denen er, wenn er wiederkehre, das Heilige Grab zurückerobern wolle.
Etwa 1543 heißt es im "Gespräch eines römischen Senators und eines Teutschen", der Kaiser habe seine Wohnung nicht im Schloss, sondern nach Meinung Vieler in Kyffhäuser, wo er sich zuweilen den Schafhirten zeige.
1666 schrieb Prätorius in seiner "Weltbeschreibung", er habe von alten Leuten in Thüringen gehört, der Kaiser Friedrich sitze tief unter der Erde in einem Berg auf der Bank bei einem runden Tisch und schlafe und habe einen langen grauen Bart, der bis auf die Erde gewachsen sei. In einem späteren Werk, 1680 erschienen, schrieb Prätorius vom schlafenden Kaiser Friedrich I., der im Kyffhäuser schlafend sitze, wo ihn ein Schafhirte fand, den der Kaiser fragte, ob die Raben noch um den Berg flögen. Als der Schafhirte diese Frage bejahte, meinte der Kaiser, dann müsse er wohl noch weitere hundert Jahre schlafen.
1696 wiederholte Johann Hoffmann in seinem "Schulprogramm" all diese Gerüchte und fügte dem noch hinzu, dass vor gut 30 Jahren ein Bauer aus dem Dorf Reblingen Korn nach Nordhausen habe fahren wollen. Er wurde unterwegs von einem kleinen Männchen in den Kyffhäuser geführt, wo er gebeten wurde, sein Korn auszuschütten und sich dafür die Säcke mit Gold zu füllen. Der Bauer sah dort den schlafenden Kaiser sitzen, dieser sei aber ganz unbeweglich gewesen, wie versteinert.
1816 hatte der schlafende Kaiser - nun Friedrich Rotbart - seinen Weg in die Deutschen Sagen der Gebrüder Grimm gefunden als im Kyfhäuser ruhend, was danach in zahlreichen weiteren Sagensammlungen aufgegriffen wurde. Ludwig Bechstein verarbeitete den Stoff in "Der Schmied von Jüteborg", einem Volksmärchen, in dem der Schmied am Ende seines Lebens zu Kaiser Friedrich in den Kyffhäuser marschierte, um mit diesem per Zeitschlaf auf die Zukunft zu harren.
Immer wieder wurde der schlafende Kaiser im Kyffhäuser Thema von Dichtungen und Liedern, so 1806 im Gedicht "Der Schäfer und Kaiser Rotbart" von Carl Philipp Conz oder 1817 in Friedrich Rückerts "Der alte Barbarossa". Die 1819 erschienene Dichtung "Rip van Winkle" des Washington Irving soll eventuell auf der Thematik um den im Kyffhäuser schlafenden Kaiser basieren.
1844 schrieb Heinrich Heine mit "Deutschland: Ein Wintermärchen" eine Persiflage auf die Barbarossa-Sehnsucht.
Heute kündet von diesen Überlieferungen noch immer das Barbarossadenkmal auf
den Ruinen der Reichsburg Kyffhausen. Es wurde 1880 - 1896 erbaut und ist nach wie
vor ein beliebtes Ausflugsziel.
Auf dem Kyffhäuser kennt man zudem die Barbarossahöhle bei Rottleben. Laut Volksglauben soll man darin mit viel Vorstellungsvermögen den Kaiser sehen können, wie er auf seiner Bank sitzt und schläft.
(Camilla G. Kaul: Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Köln, Weimar, Wien 2007 +
Ulrike Kammerhofer-Aggermann: Sagenhafter Untersberg. Salzburg 1991-1992)
Sagen über den Besuch des Kyffhäusers und des schlafenden Kaisers:
Der Bergmann und der Mönch
Ein Bergmann traf auf dem Kyffhäuser eine Gestalt, die er für einen Mönch hielt. Diese Gestalt nahm ihn mit in den Berg und führte ihn auf einen stillen Platz, rings von hohen Mauern eingeschlossen. Hier zog er mit seinem Stab einen Kreis auf die Erde, in den beide Männer traten. Dann las er aus einem Buch lange Gebete ab, die aber der Bergmann nicht verstand. Auf einmal rollte leiser, unterirdischer Donner, der Kreis erbebte, löste sich ab - langsam sanken die beiden in die Tiefe, bis sie in einem Gewölbe ankamen.
Dort traten sie aus dem Zauberring, der sich sofort wieder erhob.
Der "Mönch" öffnete mit einem Gegenstand, den der Bergmann für eine Springwurzel hielt, ein metallenes Tor, und beide kamen in eine runde Kapelle von wunderbarer Pracht mit spiegelglattem Boden und funkelnden Geräten. Dann passierten sie erneut eine Tür, hinter der sie einen schlafenden Kaiser sahen.
Rückwärts gings nun ... Der Kreis senkte sich geräuschlos; die beiden Männer traten in den Ring, und sanft wurden sie zur Oberwelt emporgehoben.
Beim Abschied schenkte der "Mönch" dem Bergmann zwei Stangen eines Metalls, das später niemand zu analysieren und bestimmen vermochte. Es stammte aus dem Raum mit dem spiegelglatten Boden und funkelnden Geräten, und es wurde lange Zeit in der Familie des Bergmanns verwahrt.
(Ludwig Bechstein: Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringer Landes. Hildburghausen 1835-1838, Bd. 4: Kyffhäusersagen, 1838)
Das Innere des Kyffhäuser wird in verschiedenen Sagen beschrieben. Ein typisches Beispiel:
Unten im Berg ist's herrlich und alles strahlt von Gold und Edelsteinen, und ob's auch eine unterirdische Höhle ist, so ist's doch hell drin wie am sonnigsten Tag. Die prächtigsten Bäume und Sträucher stehen da und mitten durch das Paradies fließt ein Bach, und wenn man aus dem eine handvoll Schlamm nimmt, so wird er gleich pures Gold ...
Ein Hirte ist mal am Johannistag, als der Berg offen stand, hineingekommen und hat staunend die ganze Herrlichkeit gesehen; da hat ihm ein Reiter gewinkt, er solle die Pferdesemmeln einstecken; das hat er getan, und als er zu Hause ankam, ist's Gold gewesen.
Anwohner des Kyffhäusers kannten eine Stelle, wo man um Mitternacht eine Hand mit einer Laterne hin- und herwandern sehen könne.
All dies erinnert auffallend an das Innere der Elfenhügel der keltischen Sagen, deren Besuch mit Zeitsprüngen verbunden sein kann.
Zeitsprünge mit Missing Time
Das Brautpaar im Berg
Ein Brautpaar, das zum im Berg schlafenden Kaiser in die Höhle gelangte, um sich Geräte für die Hochzeit zu leihen, wurde freundlich aufgenommen, beköstigt und mit einem Korb Geschirr entlassen. Als es zurückkehrte, waren jedoch zweihundert Jahre verflossen, während sie nur wenige Stunden im Berg verbracht hatten.
Der Ziegenhirt
Ein Hirte, der eine verlorene Ziege suchtend in die Gesellschaft der Ritter des im Berg schlafenden Kaisers geriet und mit ihnen trank, glaubte, er habe sich nur kurze Zeit dort aufgehalten. Aber bei seiner Heimkehr fand er, dass inzwischen zwanzig Jahre vergangen waren.
Die erwachsene Schwester
Ein Knabe, der seine Viehherde am Kyffhäuser weidete, traf dort einen Zwerg, der ihn mit in den Berg nahm. Dort sah der Knabe einen schlafenden Kaiser, der aber mit ihm redete und ihm Kieselsteine schenkte. Der Knabe wurde vom Zwerg wieder aus dem Berg herausgeführt und trat nun flugs den Heimweg zum Dorf an.
Als er bei einbrechender Nacht ins Dorf kam, begegnete ihm ein hübsches Mädchen von etwa zwanzig Jahren, das ihm seltsam bekannt vorkam. Er fragte die junge frau nach ihrem Namen und sie antwortete: "Ich bin die Schäfer-Änne."
"Die Schäfer-Änne?" rief er bestürzt, und hastig fuhr er fort: "Hast du noch Geschwister?"
Kummervolll antwortete das Mädchen: "Einen Bruder hab ich noch gehabt, der aber ist seit fünfzehn Jahren verschollen. Er hatte damals die Herde nach dem Kyffhäuser getrieben. Die Herde kehrte wohl am Abend zurück, aber mein Bruder nicht."
Da fiel der Knabe der nun schon groß gewordenen Schwester um den Hals und erzählte ihr, wie es ihm ergangen war. Und wie freuten sich erst die Eltern, dass sie ihren Sohn wiederhatten! Ihre Augen wurden größer und größer, als er die Kieselsteine aus seinem Ranzen auf den Tisch schüttete - denn alle waren von purem Golde.
(Ernst Karl Wenig: Thüringer Sagen. Rudolstadt 1992 +
Ludwig Bechstein: Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringer Landes. Hildburghausen 1835-1838, Bd. 4: Kyffhäusersagen. 1838
Deutet auch folgende Sage einen Zeitsprung an, diesmal erlebt von einem Tier?
Einem Hirten, der Schweine am Kyffhäuser hütete, verlief sich ein Stück seiner Herde. Erst nach drei Tagen fand er das Tier wieder und sah es sich aus einer Kluft in der Bergburg herauszwängen, was schwierig war, denn es war in der Zeit eine rechte Fettsau geworden; vorher war sie mager und jetzt war sie so feist, dass sie schwabbelte.
(Ernst Karl Wenig: Thüringer Sagen. Rudolstadt 1992)
Begegnung mit Zeitreisenden?
In Kelba, nahe dem Kyffhäuser, erlebte eine Frau etwas, das man zwar allgemein als "Spuk" bezeichnet, sich aber ebensogut als Begegnung mit einer zeitreisenden Person vorstellen ließe:
Ich stand auf der Diele. Da öffnete sich die Haustür und herein trat ein grundhässliches Zigeunerweib. Verblüffenderweise verschwand die so unerwartet aufgetauchte Person einen Augenblick später; für die Zeugin sah es so aus, als sei sie im Steinbelag des Fußbodens versunken.
In einem anderen Beispiel hatten Fuhrleute aus Sittersdorf Granitsteine vom Steinbruch an der Rothenburg am Kyffhäuser geholt. Es war schon dunkel, als sie auf dem Heimweg waren. Urplötzlich, wie aus dem Nichts, standen vor ihnen mitten auf dem Weg kleine Gestalten mit Laternen in der Hand, und ehe sie richtig darauf reagieren konnten, verschwanden die kleinen Kerle im Nichts, aus dem sie erschienen waren.
All diese Motive - der bis in die Zukunft im Berg schlafende Kaiser, der Besuch des Bergesinnern, verbunden mit einem Zeitsprung, die Begegnung mit aus dem Nichts auftauchenden oder dorthin verschwindenden Gestalten - haben etwas mit Zeitanomalien zu tun, so wie dies auch bei anderen Bergen der Fall ist.
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L
Langevin, Paul
s. Zwillingsparadoxon
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Liu Tschen
China:
Zeitsprungerlebnis beim Besuch einer Höhle bzw. in Gegenwart fremder Personen = ein Fall von Missing Time:
In der Regierungszeit des Ming Di (58 - 75 n.Chr.) soll sich folgendes zugetragen haben:
Es waren einmal zwei Scholaren, Liu Tschen und Yüan Dschau, beide jung und schön. Sie gingen an einem schönen Frühlingstag miteinander in das Tian-Tai-Gebirge, um Heilkräuter zu pflücken. Da kamen sie an einen Berghang, wo Pfirsichbäume in voller Blüte standen. Mitten drin öffnete sich eine Höhle, da standen zwei bezaubernde junge Mädchen, über alle Maßen schön. Sie winken den beiden jungen Männern zu:
"Seid ihr endlich da?" fragten sie. "Wir haben schon lange auf euch gewartet."
Sie führten die Jünglinge in die Höhle und bewirteten sie mit Tee und Wein.
"Ich bin für Liu bestimmt", sagte die eine der Jungfrauen, "und meine Schwester für Yüan."
So wurden sie Mann und Frau. Man amüsierte sich, vertrieb sich die Zeit mit Spielen und Müßiggang, so dass die beiden jungen Männer "ganz der Erdenwelt vergassen."
Eines Tages überkam die beiden jungen Männer mächtiges Heimweh. Ihre Frauen bemerkten es und sagten: "Wenn euch Herren erst einmal das Heimweh aufsteigt, kann man euch nicht länger halten."
Man bereitete ein Abschiedsmahl, und die beiden jungen Frauen sprachen: "Wir sehen uns wohl wieder. Zieht nur hin."
Unter Tränen nahmen sie voneinander Abschied.
Als sie nach Hause kamen, da waren Tor und Türen längst verschwunden. Die Leute im Dorf waren ihnen alle unbekannt. Sie drängten sich um die beiden und fragten, wer sie wären.
"Wir sind Liu Tschen und Yüan Dschau", antworteten sie, "wir gingen ins Gebirge und suchten Kräuter. Es mag wohl ein paar Tage her sein."
Da kam mit schnellen Schritten ein Diener hergeeilt und sah sie lange an. Endlich fiel er hocherfreut vor Liu Tschen nieder und sagte: "Ja, ihr seid wirklich mein Herr. Seit ihr wegginget und uns im Ungewissen ließet, ist's nun wohl schon 70 Jahre oder mehr."
Darauf zog er den Scholaren Liu zu einem hohen Tore, das mit Buckeln und einem Ring im Löwenmaul verziert war, wie es bei hohen Herrschaften Sitte ist. Als er in den Saal trat, da kam eine alte Frau mit weißem Haar und krummem Rücken auf einen Stab gestützt hervor und fragte: "Was ist das für ein Mann?"
"Unser Herr ist wieder da", erwiderte der Knecht. Und dann, zu ihm gewandt, fügte er hinzu: "Das ist die gnädige Frau. Sie ist schon hundert Jahre alt. Zum Glück ist sie noch kräftig und wohlauf."
Der alten Frau kamen vor Freuden und Kummer die Tränen. "Seit du weggingest unter die Unsterblichen, dachte ich, wir würden uns in diesem Leben nicht mehr wiedersehen", sagte sie, "welch großes Glück, dass du nun doch wiedergekommen bist."
Noch ehe sie ausgeredet hatte, da kam die ganze Familie, Männer und Frauen, herbeigeströmt und begrüßten ihn in dichtem Gedränge draußen vor dem Saal. Die Frau deutete auf jeden einzelnen von ihnen und sagte: "Das ist der und der, das ist die und die..."
Als damals der Scholar verschwunden war, da hatte er nur ein winziges Knäblein hinterlassen, erst ein paar Jahre alt. Der war nun schon ein 80-jähriger Greis. Es gab drei Enkel, über zehn Urenkel, über 20 Ururenkel und eine Unmenge kleiner Kinder. Aus allen war etwas geworden.
Da war er hocherfreut und bereitete ein Familienmahl im Saale, und alle seine Nachkommen mit ihren Frauen und Männern saßen rings um ihn her. Er selbst aber und seine Frau saßen oben in der Mitte, die Frau weißhaarig, ein runzeliges altes Weiblein. Der Scholar aber hatte noch immer das Aussehen eines 20-jährigen Jünglings, so dass alle jungen im Kreise umherblickten und lachten.
Dem anderen jungen Mann war es indes nicht so gut ergangen. Als dieser nach Hause kam, musste er erfahren, dass seine Frau und sein Kind längst verstorben waren und seine Enkel und Urenkel waren meist unbrauchbare Menschen. So blieb er nicht lange in der Erdenwelt, sondern kehrte schon bald zum Gebirge zurück.
Liu Tschen soll mehrere Jahre unter den Seinen geweilt haben, ehe er mit seiner Frau zum Tiän-Tai-Gebirge ging, und beide wurden fortan nie mehr gesehen.
Die älteste erhaltene schriftliche Bearbeitung des Falles befindet sich in einem Drama aus dem 14. Jahrhundert. In dieser Version werden die beiden Scholaren von einem Gott zu einer Grotte geführt. Die Samen, die einer der beiden vor dem Verschwinden gepflanzt hatte, waren nach der "Rückkehr in die Erdenwelt" zu hohen Bäumen geworden. Ansonsten hält sich das Drama im wesentlichen an die Grundversion.
Bearbeitet wurde das Thema auch im Roman Yu-Kiao-Li, verfasst von Jean-Pierre Abel-Rémusat, einem französischen Sinologen und Bibliothekar, Paris 1826.
(Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen, Jena 1912 +
Richard Wilhelm: The Chinese Fairy Book. New York 1921)
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Liu Yi (Liu I, Liu Ye)
China:
Ein junger Mann lernt eine Drachenprinzessin kennen, Tochter des Drachenkönigs im Dongting-See. Er hilft ihr aus einer misslichen Lage, indem er ihren Eltern einen Brief überbringt. Die Reise nach dort dauert viele Monate, zuletzt fliegt Liu Yi mit einem Drachen zum Ziel, denn die Drachen bewohnen unterseeische Paläste auf dem Boden verschiedener Seen. Für eine Strecke, für die man auf herkömmliche Weise viele Monate bräuchte, benötigte der Drachen nur wenige Stunden.
Die älteste schriftliche Version dieser sicherlich uralten Überlieferung stammt aus der Tang Dynastie (618 - 907 n.Chr.): Liu Yi Chuan, geschrieben von Li Zhaowei. In den folgenden Jahrhunderten war die Geschichte Thema zahlreicher romantischer Fiktionen und Novellen. Aus dem 13. Jh. stammt die Version Dongting Hu Liu des Dramatikers Shang Zhongxian.
Eine spätere Märchenversion erzählt: Liu Yi, der junge Erdenbürger, heiratet eine Göttin, eine sog. Drachenprinzessin. Beide leben in der Heimat der Drachenlady, denn, so sagt sie zu ihm, wenn er mit ihr zusammenbleiben wolle, müsse er mitkommen, denn sie könne nicht auf der Erde bleiben. Wenige Jahre später kehrt er in Begleitung mehrerer Himmelsfeen auf die Erde zurück, um seine Verwandten zu besuchen. Sie treffen seinen Cousin, und Yiu Li ruft erstaunt aus: "Kaum einen Augenblick sind wir auseinander, und du hast schon graues Haar?" Sein Cousin entgegnet: "Du bist ein selger Gott, ich habe verweslichen Leib. So will's das Schicksal."
Das Thema blieb populär bis in die Neuzeit:
In den frühen 1950er Jahren war die Geschichte Thema einer kantonesischen Oper des Tan Qingshuang, die bis heute immer wieder aufgeführt wird. 1958 wurde die Story in China verfilmt unter dem Titel Liu Yi Chuan.
Der Dongting-Tempel auf der Insel Junshan im Dongting-See, Nordost-Provinz Hunan, soll Yiu Li zu Ehren erbaut worden sein. Auf der Insel gibt es außerdem einen Liu-Yi-Brunnen.
Bei dieser Überlieferung haben wir es zu tun mit einem angedeuteten Zeitsprung, aufgetreten beim Besuch einer mysteriösen Örtlichkeit (Drachenpalast auf dem Grund eines Sees bzw. Heimat einer Göttin jenseits der Erde), bzw. in Gesellschaft nichtmenschlicher Wesen (Drachen, die als Drachen und als Menschen auftreten können) und beim Reisen mit einem außergewöhnlichen Fortbewegungsmittel (Drachenflug). Das alles würde Sinn machen, wenn die Mythe auf Erinnerungen basiert über einen Dilatationsflug oder an eine Art Zeitreise. Der nach kurzem Aufenthalt des Liu Yi in der Heimat der Drachenprinzessin daheim bereits ergraute Cousin deutet auf einen Fall von Missing Time.
(David Hawkes / Shang Zhongxian: Liu Yi and the Dragon Princess: A Thirteenth Century Play. Hong Kong 2003 +
Lihui Yang /Deming An: Handbook of Chinese Mythology. Santa Barbara 2005 +
Tang Ren Chuan Qi (Shang): Legends from Tang Dynasty. Vol. 1. Hrsg. Wang Pi Jiang. Taipeh, Taiwan, 1987 +
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Jena 1912)
M
Maurice de Sully
Pariser Bischof (1110 - 1196). Er stammte aus Sully-sur-Loire.
In seinen schriftlich hinterlassenen Predigten Sermones de diebus dominicis et de festivitatibus (verfasst zwischen 1168 - 1175) befindet sich die wohl früheste Version um einen Klosterbruder, der einen Zeitsprung in die Zukunft - Missing Time - erlebte, weil er am Bibelwort Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache (Psalm 90, 4) zweifelte. Er ging für ein paar Stunden in den Wald, lauschte entzückt einem wunderbaren süßen Vogelgesang, und als er zurückkam, waren viele Jahre vergangen und im Kloster niemand mehr, der ihn noch kannte.
Diese Erzählung wurde in zahlreichen Versionen wiederholt, unter anderem von Odo von Eritona, Jakob von Vitry, Johannes de Bromgard, Martin von Troppau, Johannes Herolt, Cäsarius von Heisterbach, Johannes Pauli, Ludwig Aurbacher, Johann Fischart, Abraham a Sancta Clara, Henry Wadsworth Longfellow, Müller von Königswinter, Hieronymus Rauscher u.v.a. Die Vesionen und Bearbeitungen der späteren Erzählungen differieren in Einzelheiten hinsichtlich der Ordenszugehörigkeit des Mönches oder der Zeitspanne des Zeitsprungs. Konstant bleiben in allen Fassungen aber das wunderbare Eingreifen Gottes und der unerklärliche Zeitsprung in die Zukunft.
Mittelalterliche Klostermanuskripte und -chroniken erzählten die Geschichte so, als habe sie sich in ihrem Kloster ereignet: im Kloster Chaumont der französischen Provence, im Kloster Affflighem in den Niederlanden, in den Klöstern Siegburg und Jülich, in der Zisterzienserabtei Armentaria in Spanien und in Leyre u.a. Dahinter steckt das Bestreben, die Wundergeschichte jeweils für die eigene Vergangenheit und das heimatliche Kloster zu gewinnen, um das Ansehen der eigenen Klostergeschichte besonders zu artikulieren.
Was Maurice de Sully als Vorbild für diese Erzählung diente, ist unbekannt.
(Lutz Röhrich: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart. Bern 1962)
Die rund hundert lateinischen und altfranzösischen Sermones des Maurice de Sully wurden nicht publiziert aber übersetzt. Erhalten sind Manuskripte unter anderem in der Newberry University of Notre Dame (MS 8) und in der British Library, London.
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Missing Time
Motiv, das in Mythen rund um den Globus vorkommt:
Der Betroffene verbringt wenig Zeit an einem anderen Ort, während an seinem Ausgangsort viel Zeit vergangen ist. Seine Zeitgenossen sind entweder um ein Vielfaches mehr als er selbst gealtert oder seine Zeitgenossen sind inzwischen verstorben.
Oftmals findet der Betroffene bei der Rückkehr sein Zuhause gar nicht mehr oder in Ruinen liegend oder verändert vor.
In etlichen Mythen wird in alten Chroniken ein Eintrag über den vor langer Zeit Verschwundenen gefunden - ein Beweis für seinen mit der Reise verbundenen Zeitsprung in die Zukunft.
Wenn in diesen Mythen ein wahrer Kern steckt, würden darin Erinnerungen an oder Kenntnisse über den Dilatationsflug enthalten sein oder über eine echte Zeitreise, bei der der Reisende bei der Heimkehr in seiner eigenen Zukunft landet.
s. Zwillingsparadoxon
Ein Vorschlag für einen wissenschaftlichen Fachbegriff lautet Heterochronia.
Zu diesem Motiv zählen auch die Mythen über Zeitschlaf.
Science Fiction-Literatur: Kennt zahlreiche Romane und Stories, in denen Weltraumreisende nach einem Dilatationsflug zurückkehren in eine veränderte Zukunftswelt.
z.B.: Robert A. Heinlein: Von Stern zu Stern. (Hier heiratet der Held der Erzählung später seine eigene Urgroßnichte.)
Musik: Selbst musikalisch wurde dieses Motiv schon bearbeitet in der Oper "Die Geschichte vom Soldaten" von Igor Strawinski.
Das Gegenteil von Missing Time wäre Winning Time.
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Mohammed
Religionsstifter des Islam. Er wurde ca. 570 in Mekka geboren und starb im Juni 632 in Medina.
Dem Propheten Mohammed werden Erlebnisse nachgesagt, die eine Himmelsreise mit einem Zeitsprung à la Winning Time kombinieren sowie das Treffen mit Personen aus ferner Vergangenheit (Adam, Mose, Abraham, Joseph, Jesus und Apostel Johannes).
Mohammed habe, so wird überliefert, mit dem Engel Gabriel im Jahr 621, zwölf Jahre, nachdem er zum Propheten wurde, nachts eine Reise von Mekka nach Jerusalem und dann durch alle sieben Himmel gemacht. Wie bei einer von unseren modernen Physikern propagierten Zeitschleife soll Mohammed nicht nur an seinen Startort zurückgekehrt sein - das Schlafgemach seiner mekkanischen Wohnung - sondern auch in seine Startzeit, sodass während seiner Reise in seiner Heimat überhaupt keine Zeit verging.
Das Erlebnis wird überliefert als Isra (Nachtreise) und Miraj (Himmelsreise, eigentlich "Leiter") = Isra wal-Miraj.
Bereits zu Mohammeds Lebenszeit im 7. Jh. war das Erlebnis bekannt. Der in dieser Zeit entstandene Koran weist an zwei Stellen darauf hin:
Sura 17 Al-Isra: Die Nachtfahrt. Geoffenbart zu Mekka:
Vers 1: Preis Ihm, der bei Nacht seinen Diener hinwegführte von der Heiligen Moschee zu der Fernsten Moschee, deren Umgebung Wir gesegnet haben, auf dass Wir ihm einige Unserer Zeichen zeigten...
Die Sure 53 an-Najm (Der Stern) berichtet von einem Himmelsobjekt, das vom Himmel herabkam und von Mohammed gesehen wurde.
Vers 6 - 18: ... Er stand aufrecht da (in der Ferne) ganz oben am Horizont. Hierauf näherte er sich und kam immer weiter nach unten und war schließlich nur noch zwei Bogenlängen entfernt oder noch näher da ... Was er (so leibhaftig) gesehen hat, hat er nicht etwa sich selber vorgelogen. Wollt ihr denn mit ihm streiten über das, was er mit eigenen Augen sieht? Er hat ihn ja auch ein anderes Mal herabkommen sehen beim Zizyphusbaum am äußersten Ende des heiligen Bezirks, an dem das Paradies der Geborgenheit liegt, damals als ich jene Decke über den Zizyphus legte. Der Blick des Propheten schweifte nicht ab, so dass er nur noch undeutlich hätte sehen können. Und er war nicht anmaßend. Er hat doch auch sonst gar große Zeichen seines Herrn gesehen.
Die Übersetzung und die Deutung dieser Verse der beiden Suren ist bis heute umstritten. Aus islamischer Sicht ist die Sache mit dem "Stern" eine Anspielung auf die Himmelsreise Mohammeds, denn der Zizyphusbaum befinde sich ja im 7. Himmel neben dem Thron Allahs. Auch das "Paradies der Geborgenheit" - DAS Paradies - wird im Islam schon seit jeher als im 7. Himmel gelegen lokalisiert.
Ein aus dem Himmel herabfliegender Stern und ein während der Himmelsreise gesichteter Stern - sah Mohammed technische Flugobjekte? Ein mit einem Stern verglichenes Flugobjekt klingt jedenfalls viel plausibler als das Flügelpferd al-Boraq der späteren Versionen der Geschichte.
In den ältesten Versionen der Story heißt es noch, Mohammed sei mit den Engeln Gabriel und Michael zu einem Platz zwischen dem Sem-Sem-Brunnen und den Fußspuren des Abraham bei der Kaaba gegangen; dort habe eine Leiter gestanden, auf der die drei in den Himmel hinaufstiegen.
Im 8. Jh. behauptete Ibn Ishaq, der früheste Mohammed-Biograph, mit der "fernsten Moschee" (al-Masgidu l-Aqsa) in Sure 17 sei die Al Aksha-Moschee in Jerusalem gemeint. Es gab jedoch zu Mohammeds Zeiten dort noch keine Moschee, sondern nur ein Gebetshaus, das Kalif Umar nach der Eroberung Jerusalems dort hatte errichten lassen, genannt "fernste Moschee".
Im 8. Jh. wurden auch die Märchen aus 1001 Nacht aus dem Mittelpersischen ins Arabische übersetzt und mit islamischen Elementen angereichert, nachdem sie vorher wahrscheinlich aus Indien übernommen worden waren. Eines der Märchen erwähnt Mohammeds Himmelsreise:
Der Sultan von Ägypten versammelte eines Tages in seinem Palast alle Gelehrte seines Reiches. Da erhob sich unter ihnen ein Streit. Man sagt, der Engel Gabriel habe eines Nachts Mohammed aus seinem Bett entführt und ihm alles gezeigt, was die sieben Himmel enthalten und dazu das Paradies und die Hölle. Danach brachte der Engel den Propheten, nachdem dieser mit Allah achtzigtausend Unterredungen gehabt hatte, in sein Bett zurück. Ferner sagt man, das alles sei in so kurzer Zeit geschehen, dass Mohammed nach seiner Rückkehr sein Bett noch warm gefunden und - mehr noch - einen Topf wieder aufgehoben habe, dessen Wasser noch nicht ausgeflossen, obgleich er in dem Augenblick umgefallen war, als der Engel Gabriel Mohammed entführte.
Der Sultan hielt das für unmöglich, er glaube, dass man von Himmel zu Himmel jeweils 500 Jahre brauche. Seine Gelehrten antworteten, es ginge dabei ohne Zweifel nicht mit rechten Dingen zu, der göttlichen Allmacht sei jedoch alles möglich. Der Streit erregte Aufsehen in ganz Ägpten.
Im 9. Jh. wurden die "Erzählungen über Worte und Taten des Mohammed" - Hadith - gesammelt und zusammengestellt. Sunniten und Schiiten haben verschiedene Hadith-Sammlungen. Auch in diesen Schriften wird die Himmelsreise des Mohammed erwähnt und erörtert. Einer der ursprünglichen Autoren, Anas ibn Malik, hatte bereits als Knabe zu Mohammeds Himmelsreisezeit gelebt.
Sahih al-Bukhari (lebte bis 870) beruft sich bei seiner Erzählung auf Malin bin Sassa, der wiederum die Himmelsreise von Mohammed selbst erfahren haben will. Danach habe sich Mohammed im Gebiet von Mekka gegenüber der Kaaba aufgehalten, als plötzlich jemand vor ihm gestanden und merkwürdige Dinge mit ihm angestellt habe. Mohammed glaubte, sein Herz sei herausgenommen, gewaschen und wieder zurückgetan worden. Dann sei ein merkwürdiges Tier zu ihm gebracht worden, das mit einem einzigen Schritt habe so weit schreiten können, wie man blicken kann. Mit diesem "Tier" erreichten Mohammed und der Engel Gabriel verschiedene Himmel. An den Himmelstoren fand jedes Mal eine Abfrage der Personaldaten statt, und auf verschiedenen Himmeln trat Mohammed Personen aus der Vergangenheit: Adam, Jesus, Johannes, Joseph, Aaron, Mose und Abraham. Im 7. Himmel schließlich fand das Treffen mit Chefgott Allah statt, dann wurde Mohammed von Gabriel wieder nach Hause gebracht.
Schon früh machten sich islamische Gelehrte Gedanken darüber, ob diese Reise real und körperlich stattgefunden habe, oder "im Geiste" oder in einem Traum. Diese Gedanken kamen auf, weil man offenbar während der Nacht Mohammed zu keinem Zeitpunkt vermisst hatte.
Zu dieser Zeit sprach in einer schiitischen Version der Hadith-Werke Hud ibn Muhakkam al-Huwwari von einer Himmelsreise von Mekka aus auf dem Rücken des Pferdes al-Boraq ("Blitz"). Noch dichtete man diesem Flugpferd kein menschliches Haupt an, wie dies später auf zahlreichen Miniaturen dargestellt wurde. Und noch hieß es in den Schriften, der Prophet sei in Mekka von der Kaaba aus in den Himmel gestartet.
Während auch im 9.Jh. noch die Gelehrten den Startpunkt der Himmelsreise in Mekka sahen und die "fernste Moschee" als im Himmel gelegen lokalisierten, schrieb At-Timidhi, der Erzengel Gabriel habe Mohammed zuerst nach Jerusalem gebracht und dort mit seinem Finger ein Loch in einen Stein an der Südwest-Mauer des alten Tempels gebohrt, um al-Boraq festzubinden. Ein Jahrhundert später spekulierte At-Tabari, die Reise müsse real stattgefunden haben, denn wozu wäre sonst al-Boraq nötig gewesen? Denn auf Reittieren, so der Gelehrte, werden Körper getragen, keine Geister. In etlichen Versionen dieser Zeit kombinierte man jedoch die Reise so: mit al-Boraq von Mekka nach Jerusalem, und von Jerusalem aus per Leiter in den Himmel.
In all den folgenden Jahrhunderten bis heute stritten und streiten sich die Gelehrten weiterhin darüber, ob die Reise real oder im Traum stattgefunden habe. Heute ist der Glaube an die Himmelsreise des Mohammed ein islamisches Dogma.
Festgesetzt aber hat sich der Glaube daran, die eigentliche Himmelsreise sei von Jerusalem aus gestartet. Noch heute wird dort an der Südwest-Ecke des Tempelberges das Loch im Stein gezeigt, das Engel Gabriel für al-Boraq gebohrt habe. Es befindet sich unterhalb des sog. Robinsonbogens. Der Monat, in dem die Himmelsreise stattfand, ist bis heute in Fastenmonat. Am 31. Juli feiert man dann das Fest Lailat al Miraj, das Fest der Himmelsreise des Mohammed. In manchen Ländern werden an diesem Tag die Städte mit Lichtern und Kerzen beleuchtet, und die Kinder versammeln sich in den Moscheen und lauschen der Geschichte der Reise des Propheten durch alle sieben Himmel.
Auch al-Boraq hat seine Spuren hinterlassen, wurden doch zwei Fluglinien nach dem Flugpferd benannt: Buraq Air, Libyen, und die Bouraq Indonesia Airlines.
Erlebte Mohammed eine Zeitschleife? Eine "globale Kausalitätsverletzung" oder "Pathologie", wie der Physiker Frank J. Tipler eine mögliche Reise benannte, bei der der Reisende an den Ausgangspunkt UND in die Ausgangszeit zurückkehrt? In diesem Fall aber müsste Mohammed in eine Zeit zurückgekehrt sein, die mindestens eine Sekunde später war, als seine Startzeit - denn wäre er in die genaue Startzeit zurückversetzt worden, so wäre er sich selbst begegnet!
http://www.koransuren.de/
Alfred Bertholet: Religionsgeschichtliches Lesebuch, Heft 16, Tübingen 1931
Herbert Busse: Jerusalem in the story of Muhammad's night journey and ascension. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Nr. 14, 1991
Frederick S. Colby: Narrating Muhammad's night journey. New York 2008
Inge Dreecken: Tausendundeine Nacht. Hamburg 1982
B. Schrieke: Die Himmelsreise Mohammeds. In: Der Islam 6, 1916
s. Tausendundeine Nacht: Da erlebt ein ägyptischer Sultan eine Zeitschleife, nachdem er mit seinen Gelehrten über Mohammeds Himmelsreise diskutierte.
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N
NAHUA
Größte indigene Volksgruppe in Mexiko mit gemeinsamer Sprache (Nahuatl). Zu den Nahua gehörten z.B. die Azteken.
Überlieferung: Der Mann, der keinen Kakaostrauch berühren durfte:
Die Mythe schildert einen Zeitsprung beim Besuch einer besonderen Örtlichkeit.
Ein Mann besucht für einige Wochen die Insel der Toten, wird dann von einem Vogel zurückgebracht und auf sein heimisches Bett gelegt.
Und am Morgen ist der Mann aufgewacht und hat alles seiner ... Frau erzählt.
"Ach, du hast nur geträumt", hat seine Frau gesagt, "du bist ja erst gestern auf das Fest im anderen Dorf gegangen, und nun willst du so lange Zeit im Totenreich gewesen sein!"
"Aber schau doch nur", hat der Mann gesagt, "wir mir der Bart gewachsen ist. Drüben haben sie keine Messer."
Und das muss man sagen: er hat einen drei Wochen alten Bart gehabt, und vorher hat er keinen Bart gehabt.
(Dieter Richter: Das Land, wo man nicht stirbt. Frankfurt a.M. 1982)
Seltenes Beispiel für eine Mythe mit dem Motiv Winning Time.
NERA
Held der irischen Mythologie. Erlebte einen Zeitsprung beim Besuch einer Elfenwelt / eines Elfenhügels. Blieb zuletzt für immer dort und gehört daher zum Motiv der Personen, die theoretisch wiederkehren könnten.
Seine Geschichte gehört zu den wenigen Beispielen von Winning Time und zum Motiv Raum-Zeit-Tor.
Echtra Nerai
Schrift aus dem 8. - 10. Jahrhundert.
"Echtra" = übersetzbar mit "Besuch einer Elfenwelt / Anderswelt".
Die Schrift ist Teil des Ulster Zyklus (auch Red Branch Cycle), einer Sammlung von Erzählungen mit zahlreichen andersweltlichen Motiven.
In einigen Quellen ist die Schrift mit Tain Bo Aingen identisch.
Erhalten ist sie als Manuskript Egerton 1782, fol. 71B von 1517.
Die Erzählung um Nera findet man auch im Yellow Book of Lecan (14. Jh.), und Fragmente im Liver Fergusiorum (1437-1440).
Haupthandlungszeit ist die des König Conchobor von Ulster und der Königin Medb von Connaught (Connacht / Cruachain - heutige irische Provinz Connaught) im 1. Jh.n.Chr.
Inhalt:
Königin Medb, ihr Gatte Ailil und viel Gefolge sind in Cruachain versammelt, um Samain, den Winteranfang, zu feiern. Man sitzt beieinander rund um den Kessel, in dem ein Mahl zubereitet wird. Es ist ein dunkler Novemberabend. Man vertreibt sich die Zeit bis zum Mahl mit makabren Spielchen mit Gefangenen, die man am Tag zuvor erhängt hatte. Nera verlässt mit einem der Gehängten die Schar und geht mit diesem zu einem der nahen Gebäude. Das aber ist merkwürdigerweise von einem "See aus Feuer" umgeben. Er geht weiter zu einem anderen Gebäude, und dieses sieht aus wie von einem "See aus Wasser " umgeben. Nera schaut zurück zum Platz, wo er seine Leute weiß, und ist erschrocken: alles ist zerstört und verbrannt worden und niemand mehr dort.
Dann sieht er eine merkwürdige Schar von Reitern, denen er neugierig folgt. Sie reiten in eine Art Höhleneingang. Er geht hinterher - und befindet sich im selben Moment in einer völlig fremden Landschaft, in einer ganz anderen Tages- und Jahreszeit. Er ging sozusagen mit einem Schritt von einer dunklen Novembernacht in einen hellen Sommertag.
Er wird zum Haus einer Elfenfrau, Angeni, verwiesen, in die er sich verliebt und die er spontan heiratet. Von ihr erfährt er, dass der Anblick des zerstörten Cruachain nur eine Zukunftsvivion gewesen sei.
Nach drei Tagen möchte Nera noch einmal nach Hause, um einige persönliche Dinge zu regeln, bevor er für immer in der Elfenwelt bleibt.
"Begib dich zu den Deinen," sagt Aingeni zu ihm, "sie sitzen noch um denselben Kessel beisammen, und das Essen ist noch nicht einmal vom Feuer genommen."
Er ist verwirrt, denn er weiß, dass er bereits seit drei Tagen in der Elfenwelt weilt.
"Wie kann ich erreichen, dass man mir glaubt, dass ich im Elfenhügel war?" fragt Nera.
"Nimm Sommerfrüchte mit dir", schlägt Aingeni ihm vor.
Zum Abschied teilt sie ihm noch mit, dass sie bereits schwanger von ihm sei und ihm einen Sohn gebären werde.
Wieder tritt er mit einem Schritt von "drüben" in seine Heimat. Zu seiner Verblüffung findet er tatsächlich die Seinen noch um den selben Kessel sitzen - ganz so, wie er sie verlassen hatte. Niemand will ihm glauben, dass er drei Tage lang im Elfenhügel geweilt habe, denn es seien ja nur ein paar Minuten vergangen. Doch er hat ja einen Beweis bei sich: Lauch, Schlüssel- und Butterblumen - ein "Wunder" mitten im kalten November. Endlich wird ihm geglaubt.
Nach einem Jahr geht Nera wieder zu seiner Elfenfrau und lernt seinen Sohn kennen.
Als er wieder zu den Seinen nach Hause kommt, erzählt er erneut von den schönen Ländern, in denen er war mit all den herrlichen Schätzen, der kostbaren Kleidung und der unerschöpflichen Speise. Noch ein drittes Mal geht Nera in den Elfenhügel.
Die Connachter aber, die immer wieder Auseinandersetzungen mit dem Elfenvolk gehabt hatten, wollen den Elfenhügel zerstören und die Schätze herausholen. Es gelingt ihnen auch - aber im Hügel finden sie weder fremde Reiche noch Nera und seine Elfenfamilie. Nera kam nie wieder und wird bis zum Jüngsten Tag nicht herauskommen.
(Rudolf Thurneysen: Die irische Helden- und Königssage bis zum 17. Jahrhundert. Halle 1921 +
Kuno Meyer: Echtra Nerai: The Adventures of Nera. In: Revue Celtique, Nr. 10, 1889)
Heute gibt es einen prähistorischen Ringwall - Rathcrogan - inmitten weiterer archäologischer Fundplätze im County Roscommon. Er gilt als "Rath (Ringwall) der Medb". Archäologische Ausgrabungen zeigten Spuren von zahlreichen Bauwerken auf dem künstlichen Mound und für hölzerne Strukturen nahe dem Mound aus verschiedenen Jahrhunderten. Ob hier jemals eine Residenz der Königin Medb stand, ist umstritten.
Nahe beim Rathcrogan gibt es die Höhle Oweynagat, die noch bis in die jüngste Zeit hinein als Eingang in die Anderswelt gehalten wurde. Es handelt sich um eine künstlich angelegte Struktur. Zwei der Steine enthalten Ogham-Inschriften, von denen eine lautet: "VRA/CCI/MAQI/MEDVII" (Fraech, Sohn der Medb).
(en.wikipedia.org/wiki/Rathcrogan)
Nuxalk: s. Bilqula Indianer
O
Odenberg
Basaltkuppe bei Gudensberg im Schwalm-Ederkreis, Nordhessen. Ursprünglicher Name des Berges: Odinsberg oder Wodensberg. In der Nähe befand sich die Donarseiche bei Geismar.
Einer der Berge, der mit einem Zeitschläfer in Verbindung gebracht wird + Einer der Berge, dessen Besuch mit einem Zeitsprung in Verbindung gebracht wird.
Zeitsprung-Version 1:
(mit den Motiven Missing Time, Raum-Zeit-Tor und Zeitsprung beim Besuch des Berginneren):
Ein Gudensberger Hirte mit Kind ging seiner Sau nach, die sich etwas von der Herde abgeschlagen hatte. Er fand sie, und wie der Hirte näher trat, war auf einmal dicht neben ihm eine Öffnung im Berg, die er noch niemals gesehen hatte. Da sah er den Karlquintes mitten unter seinen Schätzen sitzen, der winkte ihm freundlich. Und da ist's ihm ergangen wie der Frau im Altkönig, über dem Golde hat er sein Kind vergessen, das er mitgenommen hatte. Und hat auch die sieben Jahre warten müssen. Dann hat er die Öffnung wiedergefunden und ist hineingegangen. Da hat das Kind noch auf demselben Fleck gesessen, nicht älter und nicht größer, und hat noch an seinem Wecken gegessen. Er nahm sein Kind schnell auf den Arm und verließ die Höhle, denn es heißt, dass sie immer nur 15 Minuten offen bleibe.
(Paul Zaunert: Hessen-Nassauische Sagen. Jena 1929)
Zeitsprung-Version 2:
(mit den Motiven Missing Time, Raum-Zeit-Tor und Zeitsprung beim Besuch des Berginneren):
Ein Müllerbursche wurde einst unfreiwilig vom im Berg hausenden Könige Karlquintes und seinem Heer in den Berg getrieben. Sieben Jahre später, am selben Tage, hörte man um die Mittagsstunde Hufschlag vor der Mühle. Der Müller sprang ans Fenster, da kam sein alter Bursche angeritten, wie er leibte und lebte, so frisch, gesund und jung wie vor sieben Jahren. "Herr!" sagte der Bursche, "nehmt's mit nicht übel, dass ich über Nacht ausgeblieben bin." - "Was, über Nacht? Das wäre mir eine lange Nacht von sieben Jahren!" - "Herr, als ich gestern Abend am Odenberg vorüber musste, da kam der Karlquintes, die Pferde gingen mit mir durch und rissen mich mit in den Berg. Und ich musste über Nacht unten bleiben." Da ging dem Müller ein Licht auf, er hatte schon mehr gehört, dass Menschen sieben Jahre in dem Berg gesteckt und nicht anders geglaubt hatten, als dass es nur eine Nacht gewesen wäre. (Paul Zaunert: Hessen-Nassauische Sagen. Jena 1929)
Raum-Zeit-Tor-Version: Ein Schmied entdeckte auf dem Odenberg plötzlich eine Öffnung, die er nie zuvor gesehen hatte. Er trat hinein und stand in einer neuen Wunderwelt. Er sah Männer, die mit etwas beschäftigt waren, das er als kegeln deutete. Sie schenkten ihm eine Kugel, bevor er den Berg verließ, und diese zersprang beim schmieden in Stücke aus Gold. Die Öffnung im Berg aber konnte niemals wiedergefunden werden.
(Paul Zaunert: Hessen-Nassauische Sagen. Jena 1929)
Zeitschläfer Als Karl der Große im Jahr 722 gegen die Sachsen zog, soll auch beim Odenberg eine Schlacht stattgefunden haben, nach der der Kaiser mitsamt seinem Heer im Berg verschwunden sei. Karl Quintes oder Quintes, wie man den Zeitschläfer im Berg nennt, heißt "der Verschwundene". Er leide im Berg aber keine Not, weil dort drinnen Korn und Obst wachsen. Regelmäßig wache er aus seinem Zeitschlaf auf und verlasse mit seinem Heer kurz den Berg. Wer dabei zwischen die Leute gerate, muss mit in den Berg und eine Nacht verweilen, bis sich wieder eine Öffnung zeigt. Außerhalb des Berges aber seien dann stets sieben Jahre vergangen. (Carl Heßler: Hessischer Sagenkranz. Cassel 1928) Noch 1850 bis 1890 kam es vor, dass um Mittag Leute vom Feld nach Gudensberg gelaufen kamen und riefen, der Karl wäre mit seinem Heer aus dem Berg hervorgekommen. Und viele Leute sind hinausgegangen zum Berg und haben gewartet bis Mitternacht. Manche wollen "etwas" gesehen haben, manche nicht. Die ersteren haben vor dem Amt ihre Aussage wiederholt und schriftliche bekunden lassen. (Paul Zaunert: Hessen-Nassauische Sagen. Jena 1929)
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Österreich
s. Kärnten
s. Niederösterreich
s. Steiermark
s. Tirol
s. Untersberg
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Otogizoshi s. Urashima Taro
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P
R
S
Schottland
s. Thomas of Erceldoune
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Singerberg
Berg in Thüringen. Dort kennt man Überlieferungen über Zeitsprünge mit Missing Time:
Der Kornfuhrmann im Singerberg
Vor langer Zeit machte sich ein Fuhrmann aus Möhrenbach mit seinem einspännigen Karren auf den Weg zur Deube, um Korn einzukaufen. Nachdem er bezahlt und seinen Wagen beladen hatte, kehrte er sogleich wieder zurück, obwohl es bereits zu dämmern begann. In Cottendorf wollte er übernachten, um am folgenden Tag zeitig wieder zu Hause zu sein.
Der Fuhrmann war noch nicht lange gefahren, da brach auf einmal so starke Finsternis herein, dass er den Weg nicht mehr erkannte. Er irrte nach rechts, dann nach links, und schließlich wusste er überhaupt nicht mehr, wo er war. Auf einmal erblickte er ein großes, hell erleuchtetes Gebäude. Ohne sich lange zu besinnen, fuhr er darauf zu und klopfte ans Tor. Ein altes Männchen mit schneeweißem Haupt und langem weißen Bart öffnete und fragte den Fuhrmann nach seinem Begehr.
Der Fuhrmann sagte: "Ich habe mich in der Dunkelheit verirrt und bin mit meinem Wagen vom Weg abgekommen. Ist es möglich, dass ich hier bei euch mit meinem Geschirr übernachte?"
"Gewiss ist das möglich", gab das Männchen zur Antwort, "fahre nur herein."
Der Mann aus Möhrenbach tat, wie ihm geheißen. Das Männlein geleitete ihn auf einen großen Hof, half ihm ausspannen, das Pferd in den Stall bringen und füttern, und ihn selbst führte es in eine hell erleuchtete Stube. Da fand der Fuhrmann Speis und Trank und eine gute Streu für das Nachtlager. Nachdem er sein Abendbrot verzehrt hatte, legte er sich hin und schlief ein.
Er erwachte, als es gerade Tag werden wollte, stand auf und eilte, sein Pferd zu füttern. Das Männchen war wieder zur Stelle, um ihm zu helfen. Als sie in den Stall traten, fraß der Gaul schon sein Morgenfutter, und auch für den Fuhrmann stand ein kräftiges Frühstück bereit. Er ließ es sich gut schmecken, dann fragte er nach seiner Schuldigkeit und wollte bezahlen. Das Männchen jedoch verbat sich das und sagte: "Irrende beherberge und bewirte ich umsonst."
Unter tausend Danksagungen führte der Fuhrmann sein Pferd aus dem Stall, um anzuspannen und mit dem Gefährt nach Hause zu fahren. Das Männlein öffnete das Tor und wünschte ihm Glück auf den Weg. Dabei fragte es, ob auf der Erde noch die Sterne, die Sonne und der Mond zu sehen seien, und als der Fuhrmann bejahte, seufzte es ein lautes "Ach!" und verschwand; das Tor schlug hinter dem Fuhrmann mit einem furchtbaren Getöse zu. Er schaute sich erschrocken um und staunte nicht wenig, als das große Gebäude verschwunden war und er sich mit seinem Karren vor dem ihm wohlbekannten Singerberg befand. Nachdem er sich von seinem Schrecken einigermaßen erholt hatte, fuhr der Mann nach Cottendorf weiter und von da gleich nach Gräfenau und Angstedt. In allen Orten zeigten sich seinen Blicken seltsame Veränderungen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Auch in Gehren gewahrte er zu seiner Verwunderung ganz andere Häuser als jene, die er in seinem Gedächtnis hatte, und begegnete Leuten, die er nicht kannte.
Und als er mit seinem Geschirr nach Möhrendorf, seinem Heimatort gelangte und zum Tor seines Hauses einfahren wollte, da entdeckte er an dessen Stelle ein ganz anderes Gebäude. Auch wohnten andere Leute darin, die ihm die Einfahrt verwehrten. Der Mann wusste vor Staunen nicht, was er denken und sagen sollte.
Inzwischen hatte sich die Nachricht von seiner Ankunft im Dorf verbreitet, und die Leute kamen, um den eigenartigen Fuhrmann zu sehen. Niemand kannte ihn, und ebenso sah er nur in fremde Gesichter. Er nannte seinen Namen, aber selbst die ältesten Leute wussten sich seiner nicht zu erinnern. Endlich schlug man in einem alten Kirchenbuch nach, und da fand sich vor 100 Jahren sein Name mit der Bemerkung eingetragen, dieser Mann sei mit seinem Geschirr zum Fruchteinkauf gefahren, aber nicht wieder zurückgekehrt. Als nun der Fuhrmann sein Erlebnis erzählte, wurde allen klar, dass er it seinem Pferd 100 Jahre im Singerberg verschlafen hatte.
(Walter Nachtigall / Dietmar Werner: Der pfiffige Bauer. Berlin 1988) Diese Überlieferung weist neben dem Motiv Missing Time noch das des Bauwerk in einer anderen Zeit auf und eventuell das Motiv Zeitsprung in Gegenwart von Zwergen.
Weitere Überlieferung:
Der Schäfer im Singerberg: Ein Schäfer begegnet am Singerberg einer weißen Frau. Er folgt ihr auf ihr Winken in den Berg und durch zahlreiche unterirdische Räume. Er wird dort bewirtet und fällt dann in Schlaf. Als er erwacht, sieht er im Nebenraum lauter schlafende Ritter in Rüstungen. Einer von ihnen ist wach und fragt nach dem Jahr, das man jetzt schreibe. Ehe der Schäfer sich sammeln kann krachte es im Berg laut, die Tafel, die Ritter, selbst die Gewölbe verschwanden, und urplötzlich fand sich der Schäfer unter freiem Himmel wieder. Seine Herde ist verschwunden, und im Dorf sieht er laute unbekannte Gesichter, große Häuser auf zuvor freien Plätzen. Der ganze Ort war verändert, und keine Menschenseele kannte ihn. Er erfuhr, dass er 100 Jahre im Berg geweilt hatte.
(Michael König / Kerstin Dietel: Thüringer Berge und ihre Sagen. Jena 1994)
Dies ist ein Beispiel für einen Zeitsprung mit Missing Time beim Besuch des Berginneren, beim Besuch einer Örtlichkeit mit Zeitschläfern, einem Beam-vorgang, und in Gegenwart eines fremdartigen Wesens - einer Weißen Frau.
Des weiteren kennt man im Raum Singerberg das Motiv Raum-Zeit-Tor:
Volksglaube: Nur einmal im Jahr öffne sich eine einsame Pforte ins Berginnere.
Überlieferung: Ein Schafknecht gewahrte mehr träumend als schauend ... eine unmerkliche Veränderung an der verklüfteten felsigen Wand. Als er genauer hinsah, entdeckte er eine kleine eiserne Türe in der Felswand, die er noch nie gesehen hatte. Ein kleines graues Männchen kam heraus, rief ihn hinein, doch der Schäfer traute sich nicht so recht. Am Abend erzählte er von seinem Erlebnis und ging am selben Abend in Begleitung wieder dorthin. Er fand auch schnell den Platz vor dem Felsen wieder, an dem ihm der Zwerg erschienen war. Doch trotz des hellen Mondscheins war keine Tür zu finden. Die beiden Gefährten suchten angestrengt den ganzen Felsen ab. Doch überall blickte ihnen das nackte Gestein entgegen.
(Michael Köhler / Kerstin Dietel: Thüringer Berge und ihre Sagen. Jena 1994)
Sagen um Tore, Türen oder Öffnungen in Felswänden gibt es weltweit; Tore, die mal da sind und mal nicht und urplötzlich verschwinden können, wären durch das Motiv Raum-Zeit-Tor erklärbar. s. auch Zwergenreich / Zwerge
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Steiermark, Österreich
In der Steiermark werden mehrere Sagen überliefert, die mit Zeitsprüngen zu tun haben.
Ennstaler Alpen:
Ein Hirtenknabe verträumte seine Arbeit, die Herde verlief sich. Er suchte die Tiere und kam an einer Felswand vorüber, wo ihm eine Tür im Gestein auffiel, die es vorher dort niemals gegeben hatte. Vor der Tür stand ein bärtiges kleines altes Männlein, das den Knaben aufforderte, mit hereinzukommen. Doch dem Knaben ist war das nicht geheuer und er lief davon.
Doch als ihm ein Köhler riet, doch noch einmal hinzugehen, tat er es. Und wieder stand vor der Tür im Felsen das Männlein. Der Knabe folgte diesem in eine offene Felsenhalle.
Sie durchschritten viele Gänge, bis sie in einen großen Saal kamen. Der Junge glaubte, seiner Sinne nicht mächtig zu sein, als er die vielen Herrlichkeiten dort erblickte. Vom Boden bis zur Decke war alles eitel Gold, Edelsteine funkelten in allen Farben. Wohin das Auge sich wandte, gewahrte es unermessliche Schätze und Reichtümer. So führte der Alte den Knaben noch durch viele Sääle, von denen einer herrlicher erschien als der andere.
Schließlich wurde der Knabe zurückgeführt und steckte auf Anraten des Männleins ein paar rostige Schuhnägel ein.
Als er wieder im Freien stand, schien ihm die Gegend ganz verändert. Er wollte das Männlein fragen, wo er sich befinde, doch der Alte war schon verschwunden, und von der Felsentüre war keine Spur mehr zu sehen.
Der Knabe ging auf die nächste Siedlung zu und erfuhr, dass er sich in der Nähe des Ortes Eisenerz befinde. Er ließ sich den Weg nach Gams zeigen und ging nach Hause. Die Schuhnägel aber hatten sich in Gold verwandelt. Daheim war man schon in Sorge um ihn gewesen.
"Wo bist du denn die sechs Wochen geblieben?" empfing ihn ärgerlich der Bauer. Da wunderte sich der Knabe, denn er war ja nur wenige Stunden im Felsen bei dem Männlein gewesen. Er erzählte sein Erlebnis, und später suchte er immer wieder, selbst noch als Erwachsener, an dem Felsen nach der Türe, konnte sie aber niemals wieder entdecken.
(Karl Haiding: Österreichs Sagenschatz. Wien 1965)
Diese Sagen ist ein Beispiel für die Motive Missing Time, Zeitsprung beim Besuch einer Örtlichkeit hinter einer Felswand, Raum-Zeit-Tor und Zeitsprung in Gegenwart von Zwergen.
Obersteiermark:
Ein junges Mädchen ging am frühen Morgen Richtung Seckau. Unterwegs, auf dem Gamskogelberg, gesellte sich eine fremde alte Frau zu ihr und geleitete sie plaudernd. Nach kurzer Zeit merkte das Mädchen, dass es den rechten Weg verloren hatte. Sie gingen auf einen Felsen zu, die Frau berührte den Stein der sprang auf und strahlender Glanz übergoss das Mädchen. Im Innern des Berges lagen aufgehäufte Goldklumpen, kristallene Wände und Säulen aus Diamanten ragten empor. Aus dem alten Weib aber war ein Jüngling in grüner Jägertracht geworden.
Das Mädchen wurde angewiesen, ihr Körbchen mit Gold zu füllen, und dann trat sie wieder aus der Felsenkammer heraus.
Kaum aber stand sie im Freien, als das Tor auch schon wieder verschwunden war. Wie sollte sie von dem unbekannten Ort wieder nach Hause finden? Zufällig kam ein Bauer daher, der sie ins Dorf begleitete. Unterwegs erfuhr sie erstaunt, dass seit ihrem Weggehen ein halbes Jahr vergangen sei. Alle wunderten sich über ihre Rückkehr und bestaunten ihren Schatz.
Das Gold lockte einen Bauern aus der Gegend. Er ließ sich die Örtlichkeit beschreiben und ging los. Nach einigen Tagen suchte man den Vermissten und fand ihn tot in der Nähe des Felsens auf. Seine Taschen waren mit Gold gefüllt.
Seither bezeichnen die Umwohner den Gamskogel als Teufelsberg und erzählen, dass einmal pro Jahr an der Stelle, wo man den toten Bauern fand, eine bläuliche Flamme zu sehen sei.
(Karl Haiding: Österreichs Sagenschatz. Wien 1965)
In dieser Sagen gibt es die Motive Raum-Zeit-Tor + Zeitsprung beim Besuch des Berginnern.
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Sun Wukong
China: Uralte Geschichte um einen Affenkönig, der den Himmel besuchte und dabei einen Zeitsprung erlebte. Ein Beispiel für Missing Time.
Die Reise nach Westen wurde ca. 1550 geschrieben von Wu Cheng'en, einem Romanautor und Dichter der Ming Dynastie nach der Vorlage eines Reiseberichtes des Pilgermönchs Xuanzang, der von 629 - 645 die Seidenstraße und Indien bereiste. Die Reise dauerte sechzehn Jahre und hatte das Ziel, die heiligen Schriften Buddhas nach China zu holen. Nach seiner Rückkehr verfasste er Mönch einen ausführlichen Reisebericht, der dann mit vielen phantastischen Motiven angereichert wurde.
Teile des Textes müssen auf sehr viel ältere Quellen zurückgehen, denn über den Affenkönig existierten bereits zur "Zeit der Streitenden Reiche", die 475 v.Chr. begann, Legenden und Sagen.
Die Reise nach Westen ist bis heute eines der wichtigsten historischen Zeugnisse vom Leben in jenen frühen Tagen der Tang Dynastie und zählt zu den vier klassischen Romanen Chinas. Der Text enthält sowohl buddhistische als auch taoistische Elemente.
Sun Wukong, der Affenkönig, ist ein phantastisches Wesen, das aus einem steinernen Ei aus einem Felsen geboren worden sein soll. Dank der Lehre bei verschiedenen taoistischen Meistern ("Unsterblichen") erlernt Sun Wukong zahlreiche magische Kunststücke, darunter das Fliegen und das Verwandeln. Er erhält eine stabartige Waffe, die ihre Größe von stecknadelkopfgroß bis meilenlang verändern kann, und eine Wolke zur Fortbewegung durch Luft und All. Nach zahlreichen Abenteuern, bei denen Sun Wokong stets wegen seiner übermütigen Streiche aneckt, darf er zur Läuterung den Mönch Xuanzang auf dessen Reise nach Indien begleiten.
Eines dieser Abenteuer war eine Reise in den Himmel, die er auf seiner Wolke antrat. Dort oben drehte man dem Affenkönig den Posten des Stallmeisters an als Wächter der himmlischen Pferde, die imstande waren, die Wolken zu erklimmen. Doch schon nach etwa zwei Wochen hatte Sun Wukong die Nase voll von dem niedrigen Posten - zu Hause sei er wenigstens König - und verließ zornig den Himmel durch eines der Tore.
Als er kurz darauf auf seiner Wolke zu Hause eintraf, erfuhr er zu seiner Verblüffung, dass hier inzwischen viele Jahre vergangen sind. "Gratulation, Eure Majestät", so heißen ihn seine Untertanen willkommen. "Nach über einem Dutzend Jahre da oben wirst du in Glorie und Triumph zurückgekehrt sein."
"Was meinst du mit über einem Dutzend Jahre?" fragt der Affenkönig. "Ich war doch nur zwei Wochen oder so fortgewesen."
"Eure Majestät wird das Vergehen der Zeit im Himmel nicht bemerkt haben. Ein Tag im Himmel dauert so lang wie ein Jahr auf der Erde."
Anzumerken wäre noch, dass die Schilderung des Himmels viel gemeinsam hat mit Schilderungen anderer Örtlichkeiten, die Helden weltweiter Mythen aufsuchten und dabei einen Zeitsprung erlebten, seien es die Anderswelten der keltischen Überlieferung oder paradiesische Welten außerhalb der Erde.
In der "Reise nach Westen" wird der Himmel so geschildert: Alles ist lichtstrahlend und hell, es gibt kristallene und goldene Tore, man sieht Drachen und Phönixe (Flugobjekte?), es gibt 33 Paläste, darunter den Wolkenpalast, und 72 riesige Hallen, darunter eine "Halle für den Aufstieg ins All", Blumen und Pflanzen, die niemals verwelken, Korallenbäume, silberne Wagen und vieles mehr. All die wunderbaren Dinge im Himmel waren da, von denen keines auf der Erde zu sehen ist...
Diese Geschichte ist bis heute polulär und wurde zur Grundlage zahlreicher Filme, Bücher, Comics und Computerspiele. Eine Oper - "Affe - Reise nach Westen" wurde 2007 uraufgeführt. Im Jahr 2008 war Sun Wukong Favorit für das Olympia-Maskottchen in China.
(Helga Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur. München 199 + www.chine-informations.com/fichiers/jourwest.pdf)