Dienstag, 11. Mai 2010

L

under construction.............

Langevin, Paul
s. Zwillingsparadoxon
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Liu Tschen
China:
Zeitsprungerlebnis beim Besuch einer Höhle bzw. in Gegenwart fremder Personen = ein Fall von Missing Time:
In der Regierungszeit des Ming Di (58 - 75 n.Chr.) soll sich folgendes zugetragen haben:
Es waren einmal zwei Scholaren, Liu Tschen und Yüan Dschau, beide jung und schön. Sie gingen an einem schönen Frühlingstag miteinander in das Tian-Tai-Gebirge, um Heilkräuter zu pflücken. Da kamen sie an einen Berghang, wo Pfirsichbäume in voller Blüte standen. Mitten drin öffnete sich eine Höhle, da standen zwei bezaubernde junge Mädchen, über alle Maßen schön. Sie winken den beiden jungen Männern zu:
"Seid ihr endlich da?" fragten sie. "Wir haben schon lange auf euch gewartet."
Sie führten die Jünglinge in die Höhle und bewirteten sie mit Tee und Wein.
"Ich bin für Liu bestimmt", sagte die eine der Jungfrauen, "und meine Schwester für Yüan."
So wurden sie Mann und Frau. Man amüsierte sich, vertrieb sich die Zeit mit Spielen und Müßiggang, so dass die beiden jungen Männer "ganz der Erdenwelt vergassen."
Eines Tages überkam die beiden jungen Männer mächtiges Heimweh. Ihre Frauen bemerkten es und sagten: "Wenn euch Herren erst einmal das Heimweh aufsteigt, kann man euch nicht länger halten."
Man bereitete ein Abschiedsmahl, und die beiden jungen Frauen sprachen: "Wir sehen uns wohl wieder. Zieht nur hin."
Unter Tränen nahmen sie voneinander Abschied.
Als sie nach Hause kamen, da waren Tor und Türen längst verschwunden. Die Leute im Dorf waren ihnen alle unbekannt. Sie drängten sich um die beiden und fragten, wer sie wären.
"Wir sind Liu Tschen und Yüan Dschau", antworteten sie, "wir gingen ins Gebirge und suchten Kräuter. Es mag wohl ein paar Tage her sein."
Da kam mit schnellen Schritten ein Diener hergeeilt und sah sie lange an. Endlich fiel er hocherfreut vor Liu Tschen nieder und sagte: "Ja, ihr seid wirklich mein Herr. Seit ihr wegginget und uns im Ungewissen ließet, ist's nun wohl schon 70 Jahre oder mehr."
Darauf zog er den Scholaren Liu zu einem hohen Tore, das mit Buckeln und einem Ring im Löwenmaul verziert war, wie es bei hohen Herrschaften Sitte ist. Als er in den Saal trat, da kam eine alte Frau mit weißem Haar und krummem Rücken auf einen Stab gestützt hervor und fragte: "Was ist das für ein Mann?"
"Unser Herr ist wieder da", erwiderte der Knecht. Und dann, zu ihm gewandt, fügte er hinzu: "Das ist die gnädige Frau. Sie ist schon hundert Jahre alt. Zum Glück ist sie noch kräftig und wohlauf."
Der alten Frau kamen vor Freuden und Kummer die Tränen. "Seit du weggingest unter die Unsterblichen, dachte ich, wir würden uns in diesem Leben nicht mehr wiedersehen", sagte sie, "welch großes Glück, dass du nun doch wiedergekommen bist."
Noch ehe sie ausgeredet hatte, da kam die ganze Familie, Männer und Frauen, herbeigeströmt und begrüßten ihn in dichtem Gedränge draußen vor dem Saal. Die Frau deutete auf jeden einzelnen von ihnen und sagte: "Das ist der und der, das ist die und die..."
Als damals der Scholar verschwunden war, da hatte er nur ein winziges Knäblein hinterlassen, erst ein paar Jahre alt. Der war nun schon ein 80-jähriger Greis. Es gab drei Enkel, über zehn Urenkel, über 20 Ururenkel und eine Unmenge kleiner Kinder. Aus allen war etwas geworden.
Da war er hocherfreut und bereitete ein Familienmahl im Saale, und alle seine Nachkommen mit ihren Frauen und Männern saßen rings um ihn her. Er selbst aber und seine Frau saßen oben in der Mitte, die Frau weißhaarig, ein runzeliges altes Weiblein. Der Scholar aber hatte noch immer das Aussehen eines 20-jährigen Jünglings, so dass alle jungen im Kreise umherblickten und lachten.
Dem anderen jungen Mann war es indes nicht so gut ergangen. Als dieser nach Hause kam, musste er erfahren, dass seine Frau und sein Kind längst verstorben waren und seine Enkel und Urenkel waren meist unbrauchbare Menschen. So blieb er nicht lange in der Erdenwelt, sondern kehrte schon bald zum Gebirge zurück.
Liu Tschen soll mehrere Jahre unter den Seinen geweilt haben, ehe er mit seiner Frau zum Tiän-Tai-Gebirge ging, und beide wurden fortan nie mehr gesehen.

Die älteste erhaltene schriftliche Bearbeitung des Falles befindet sich in einem Drama aus dem 14. Jahrhundert. In dieser Version werden die beiden Scholaren von einem Gott zu einer Grotte geführt. Die Samen, die einer der beiden vor dem Verschwinden gepflanzt hatte, waren nach der "Rückkehr in die Erdenwelt" zu hohen Bäumen geworden. Ansonsten hält sich das Drama im wesentlichen an die Grundversion.

Bearbeitet wurde das Thema auch im Roman Yu-Kiao-Li, verfasst von Jean-Pierre Abel-Rémusat, einem französischen Sinologen und Bibliothekar, Paris 1826.

(Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen, Jena 1912 +
Richard Wilhelm: The Chinese Fairy Book. New York 1921)
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Liu Yi (Liu I, Liu Ye)
China:
Ein junger Mann lernt eine Drachenprinzessin kennen, Tochter des Drachenkönigs im Dongting-See. Er hilft ihr aus einer misslichen Lage, indem er ihren Eltern einen Brief überbringt. Die Reise nach dort dauert viele Monate, zuletzt fliegt Liu Yi mit einem Drachen zum Ziel, denn die Drachen bewohnen unterseeische Paläste auf dem Boden verschiedener Seen. Für eine Strecke, für die man auf herkömmliche Weise viele Monate bräuchte, benötigte der Drachen nur wenige Stunden.
Die älteste schriftliche Version dieser sicherlich uralten Überlieferung stammt aus der Tang Dynastie (618 - 907 n.Chr.): Liu Yi Chuan, geschrieben von Li Zhaowei. In den folgenden Jahrhunderten war die Geschichte Thema zahlreicher romantischer Fiktionen und Novellen. Aus dem 13. Jh. stammt die Version Dongting Hu Liu des Dramatikers Shang Zhongxian.
Eine spätere Märchenversion erzählt: Liu Yi, der junge Erdenbürger, heiratet eine Göttin, eine sog. Drachenprinzessin. Beide leben in der Heimat der Drachenlady, denn, so sagt sie zu ihm, wenn er mit ihr zusammenbleiben wolle, müsse er mitkommen, denn sie könne nicht auf der Erde bleiben. Wenige Jahre später kehrt er in Begleitung mehrerer Himmelsfeen auf die Erde zurück, um seine Verwandten zu besuchen. Sie treffen seinen Cousin, und Yiu Li ruft erstaunt aus: "Kaum einen Augenblick sind wir auseinander, und du hast schon graues Haar?" Sein Cousin entgegnet: "Du bist ein selger Gott, ich habe verweslichen Leib. So will's das Schicksal."
Das Thema blieb populär bis in die Neuzeit:
In den frühen 1950er Jahren war die Geschichte Thema einer kantonesischen Oper des Tan Qingshuang, die bis heute immer wieder aufgeführt wird. 1958 wurde die Story in China verfilmt unter dem Titel Liu Yi Chuan.
Der Dongting-Tempel auf der Insel Junshan im Dongting-See, Nordost-Provinz Hunan, soll Yiu Li zu Ehren erbaut worden sein. Auf der Insel gibt es außerdem einen Liu-Yi-Brunnen.
Bei dieser Überlieferung haben wir es zu tun mit einem angedeuteten Zeitsprung, aufgetreten beim Besuch einer mysteriösen Örtlichkeit (Drachenpalast auf dem Grund eines Sees bzw. Heimat einer Göttin jenseits der Erde), bzw. in Gesellschaft nichtmenschlicher Wesen (Drachen, die als Drachen und als Menschen auftreten können) und beim Reisen mit einem außergewöhnlichen Fortbewegungsmittel (Drachenflug). Das alles würde Sinn machen, wenn die Mythe auf Erinnerungen basiert über einen Dilatationsflug oder an eine Art Zeitreise. Der nach kurzem Aufenthalt des Liu Yi in der Heimat der Drachenprinzessin daheim bereits ergraute Cousin deutet auf einen Fall von Missing Time.
(David Hawkes / Shang Zhongxian: Liu Yi and the Dragon Princess: A Thirteenth Century Play. Hong Kong 2003 +
Lihui Yang /Deming An: Handbook of Chinese Mythology. Santa Barbara 2005 +
Tang Ren Chuan Qi (Shang): Legends from Tang Dynasty. Vol. 1. Hrsg. Wang Pi Jiang. Taipeh, Taiwan, 1987 +
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Jena 1912)

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