Dienstag, 11. Mai 2010

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Maurice de Sully
Pariser Bischof (1110 - 1196). Er stammte aus Sully-sur-Loire.
In seinen schriftlich hinterlassenen Predigten Sermones de diebus dominicis et de festivitatibus (verfasst zwischen 1168 - 1175) befindet sich die wohl früheste Version um einen Klosterbruder, der einen Zeitsprung in die Zukunft - Missing Time - erlebte, weil er am Bibelwort Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache (Psalm 90, 4) zweifelte. Er ging für ein paar Stunden in den Wald, lauschte entzückt einem wunderbaren süßen Vogelgesang, und als er zurückkam, waren viele Jahre vergangen und im Kloster niemand mehr, der ihn noch kannte.
Diese Erzählung wurde in zahlreichen Versionen wiederholt, unter anderem von Odo von Eritona, Jakob von Vitry, Johannes de Bromgard, Martin von Troppau, Johannes Herolt, Cäsarius von Heisterbach, Johannes Pauli, Ludwig Aurbacher, Johann Fischart, Abraham a Sancta Clara, Henry Wadsworth Longfellow, Müller von Königswinter, Hieronymus Rauscher u.v.a. Die Vesionen und Bearbeitungen der späteren Erzählungen differieren in Einzelheiten hinsichtlich der Ordenszugehörigkeit des Mönches oder der Zeitspanne des Zeitsprungs. Konstant bleiben in allen Fassungen aber das wunderbare Eingreifen Gottes und der unerklärliche Zeitsprung in die Zukunft.
Mittelalterliche Klostermanuskripte und -chroniken erzählten die Geschichte so, als habe sie sich in ihrem Kloster ereignet: im Kloster Chaumont der französischen Provence, im Kloster Affflighem in den Niederlanden, in den Klöstern Siegburg und Jülich, in der Zisterzienserabtei Armentaria in Spanien und in Leyre u.a. Dahinter steckt das Bestreben, die Wundergeschichte jeweils für die eigene Vergangenheit und das heimatliche Kloster zu gewinnen, um das Ansehen der eigenen Klostergeschichte besonders zu artikulieren.
Was Maurice de Sully als Vorbild für diese Erzählung diente, ist unbekannt.
(Lutz Röhrich: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart. Bern 1962)
Die rund hundert lateinischen und altfranzösischen Sermones des Maurice de Sully wurden nicht publiziert aber übersetzt. Erhalten sind Manuskripte unter anderem in der Newberry University of Notre Dame (MS 8) und in der British Library, London.
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Missing Time
Motiv, das in Mythen rund um den Globus vorkommt:
Der Betroffene verbringt wenig Zeit an einem anderen Ort, während an seinem Ausgangsort viel Zeit vergangen ist. Seine Zeitgenossen sind entweder um ein Vielfaches mehr als er selbst gealtert oder seine Zeitgenossen sind inzwischen verstorben.
Oftmals findet der Betroffene bei der Rückkehr sein Zuhause gar nicht mehr oder in Ruinen liegend oder verändert vor.
In etlichen Mythen wird in alten Chroniken ein Eintrag über den vor langer Zeit Verschwundenen gefunden - ein Beweis für seinen mit der Reise verbundenen Zeitsprung in die Zukunft.
Wenn in diesen Mythen ein wahrer Kern steckt, würden darin Erinnerungen an oder Kenntnisse über den Dilatationsflug enthalten sein oder über eine echte Zeitreise, bei der der Reisende bei der Heimkehr in seiner eigenen Zukunft landet.
s. Zwillingsparadoxon
Ein Vorschlag für einen wissenschaftlichen Fachbegriff lautet Heterochronia.
Zu diesem Motiv zählen auch die Mythen über Zeitschlaf.
Science Fiction-Literatur: Kennt zahlreiche Romane und Stories, in denen Weltraumreisende nach einem Dilatationsflug zurückkehren in eine veränderte Zukunftswelt.
z.B.: Robert A. Heinlein: Von Stern zu Stern. (Hier heiratet der Held der Erzählung später seine eigene Urgroßnichte.)
Musik: Selbst musikalisch wurde dieses Motiv schon bearbeitet in der Oper "Die Geschichte vom Soldaten" von Igor Strawinski.
Das Gegenteil von Missing Time wäre Winning Time.
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Mohammed
Religionsstifter des Islam. Er wurde ca. 570 in Mekka geboren und starb im Juni 632 in Medina.
Dem Propheten Mohammed werden Erlebnisse nachgesagt, die eine Himmelsreise mit einem Zeitsprung à la Winning Time kombinieren sowie das Treffen mit Personen aus ferner Vergangenheit (Adam, Mose, Abraham, Joseph, Jesus und Apostel Johannes).
Mohammed habe, so wird überliefert, mit dem Engel Gabriel im Jahr 621, zwölf Jahre, nachdem er zum Propheten wurde, nachts eine Reise von Mekka nach Jerusalem und dann durch alle sieben Himmel gemacht. Wie bei einer von unseren modernen Physikern propagierten Zeitschleife soll Mohammed nicht nur an seinen Startort zurückgekehrt sein - das Schlafgemach seiner mekkanischen Wohnung - sondern auch in seine Startzeit, sodass während seiner Reise in seiner Heimat überhaupt keine Zeit verging.
Das Erlebnis wird überliefert als Isra (Nachtreise) und Miraj (Himmelsreise, eigentlich "Leiter") = Isra wal-Miraj.
Bereits zu Mohammeds Lebenszeit im 7. Jh. war das Erlebnis bekannt. Der in dieser Zeit entstandene Koran weist an zwei Stellen darauf hin:
Sura 17 Al-Isra: Die Nachtfahrt. Geoffenbart zu Mekka:
Vers 1: Preis Ihm, der bei Nacht seinen Diener hinwegführte von der Heiligen Moschee zu der Fernsten Moschee, deren Umgebung Wir gesegnet haben, auf dass Wir ihm einige Unserer Zeichen zeigten...
Die Sure 53 an-Najm (Der Stern) berichtet von einem Himmelsobjekt, das vom Himmel herabkam und von Mohammed gesehen wurde.
Vers 6 - 18: ... Er stand aufrecht da (in der Ferne) ganz oben am Horizont. Hierauf näherte er sich und kam immer weiter nach unten und war schließlich nur noch zwei Bogenlängen entfernt oder noch näher da ... Was er (so leibhaftig) gesehen hat, hat er nicht etwa sich selber vorgelogen. Wollt ihr denn mit ihm streiten über das, was er mit eigenen Augen sieht? Er hat ihn ja auch ein anderes Mal herabkommen sehen beim Zizyphusbaum am äußersten Ende des heiligen Bezirks, an dem das Paradies der Geborgenheit liegt, damals als ich jene Decke über den Zizyphus legte. Der Blick des Propheten schweifte nicht ab, so dass er nur noch undeutlich hätte sehen können. Und er war nicht anmaßend. Er hat doch auch sonst gar große Zeichen seines Herrn gesehen.
Die Übersetzung und die Deutung dieser Verse der beiden Suren ist bis heute umstritten. Aus islamischer Sicht ist die Sache mit dem "Stern" eine Anspielung auf die Himmelsreise Mohammeds, denn der Zizyphusbaum befinde sich ja im 7. Himmel neben dem Thron Allahs. Auch das "Paradies der Geborgenheit" - DAS Paradies - wird im Islam schon seit jeher als im 7. Himmel gelegen lokalisiert.
Ein aus dem Himmel herabfliegender Stern und ein während der Himmelsreise gesichteter Stern - sah Mohammed technische Flugobjekte? Ein mit einem Stern verglichenes Flugobjekt klingt jedenfalls viel plausibler als das Flügelpferd al-Boraq der späteren Versionen der Geschichte.
In den ältesten Versionen der Story heißt es noch, Mohammed sei mit den Engeln Gabriel und Michael zu einem Platz zwischen dem Sem-Sem-Brunnen und den Fußspuren des Abraham bei der Kaaba gegangen; dort habe eine Leiter gestanden, auf der die drei in den Himmel hinaufstiegen.
Im 8. Jh. behauptete Ibn Ishaq, der früheste Mohammed-Biograph, mit der "fernsten Moschee" (al-Masgidu l-Aqsa) in Sure 17 sei die Al Aksha-Moschee in Jerusalem gemeint. Es gab jedoch zu Mohammeds Zeiten dort noch keine Moschee, sondern nur ein Gebetshaus, das Kalif Umar nach der Eroberung Jerusalems dort hatte errichten lassen, genannt "fernste Moschee".
Im 8. Jh. wurden auch die Märchen aus 1001 Nacht aus dem Mittelpersischen ins Arabische übersetzt und mit islamischen Elementen angereichert, nachdem sie vorher wahrscheinlich aus Indien übernommen worden waren. Eines der Märchen erwähnt Mohammeds Himmelsreise:
Der Sultan von Ägypten versammelte eines Tages in seinem Palast alle Gelehrte seines Reiches. Da erhob sich unter ihnen ein Streit. Man sagt, der Engel Gabriel habe eines Nachts Mohammed aus seinem Bett entführt und ihm alles gezeigt, was die sieben Himmel enthalten und dazu das Paradies und die Hölle. Danach brachte der Engel den Propheten, nachdem dieser mit Allah achtzigtausend Unterredungen gehabt hatte, in sein Bett zurück. Ferner sagt man, das alles sei in so kurzer Zeit geschehen, dass Mohammed nach seiner Rückkehr sein Bett noch warm gefunden und - mehr noch - einen Topf wieder aufgehoben habe, dessen Wasser noch nicht ausgeflossen, obgleich er in dem Augenblick umgefallen war, als der Engel Gabriel Mohammed entführte.
Der Sultan hielt das für unmöglich, er glaube, dass man von Himmel zu Himmel jeweils 500 Jahre brauche. Seine Gelehrten antworteten, es ginge dabei ohne Zweifel nicht mit rechten Dingen zu, der göttlichen Allmacht sei jedoch alles möglich. Der Streit erregte Aufsehen in ganz Ägpten.
Im 9. Jh. wurden die "Erzählungen über Worte und Taten des Mohammed" - Hadith - gesammelt und zusammengestellt. Sunniten und Schiiten haben verschiedene Hadith-Sammlungen. Auch in diesen Schriften wird die Himmelsreise des Mohammed erwähnt und erörtert. Einer der ursprünglichen Autoren, Anas ibn Malik, hatte bereits als Knabe zu Mohammeds Himmelsreisezeit gelebt.
Sahih al-Bukhari (lebte bis 870) beruft sich bei seiner Erzählung auf Malin bin Sassa, der wiederum die Himmelsreise von Mohammed selbst erfahren haben will. Danach habe sich Mohammed im Gebiet von Mekka gegenüber der Kaaba aufgehalten, als plötzlich jemand vor ihm gestanden und merkwürdige Dinge mit ihm angestellt habe. Mohammed glaubte, sein Herz sei herausgenommen, gewaschen und wieder zurückgetan worden. Dann sei ein merkwürdiges Tier zu ihm gebracht worden, das mit einem einzigen Schritt habe so weit schreiten können, wie man blicken kann. Mit diesem "Tier" erreichten Mohammed und der Engel Gabriel verschiedene Himmel. An den Himmelstoren fand jedes Mal eine Abfrage der Personaldaten statt, und auf verschiedenen Himmeln trat Mohammed Personen aus der Vergangenheit: Adam, Jesus, Johannes, Joseph, Aaron, Mose und Abraham. Im 7. Himmel schließlich fand das Treffen mit Chefgott Allah statt, dann wurde Mohammed von Gabriel wieder nach Hause gebracht.
Schon früh machten sich islamische Gelehrte Gedanken darüber, ob diese Reise real und körperlich stattgefunden habe, oder "im Geiste" oder in einem Traum. Diese Gedanken kamen auf, weil man offenbar während der Nacht Mohammed zu keinem Zeitpunkt vermisst hatte.
Zu dieser Zeit sprach in einer schiitischen Version der Hadith-Werke Hud ibn Muhakkam al-Huwwari von einer Himmelsreise von Mekka aus auf dem Rücken des Pferdes al-Boraq ("Blitz"). Noch dichtete man diesem Flugpferd kein menschliches Haupt an, wie dies später auf zahlreichen Miniaturen dargestellt wurde. Und noch hieß es in den Schriften, der Prophet sei in Mekka von der Kaaba aus in den Himmel gestartet.
Während auch im 9.Jh. noch die Gelehrten den Startpunkt der Himmelsreise in Mekka sahen und die "fernste Moschee" als im Himmel gelegen lokalisierten, schrieb At-Timidhi, der Erzengel Gabriel habe Mohammed zuerst nach Jerusalem gebracht und dort mit seinem Finger ein Loch in einen Stein an der Südwest-Mauer des alten Tempels gebohrt, um al-Boraq festzubinden. Ein Jahrhundert später spekulierte At-Tabari, die Reise müsse real stattgefunden haben, denn wozu wäre sonst al-Boraq nötig gewesen? Denn auf Reittieren, so der Gelehrte, werden Körper getragen, keine Geister. In etlichen Versionen dieser Zeit kombinierte man jedoch die Reise so: mit al-Boraq von Mekka nach Jerusalem, und von Jerusalem aus per Leiter in den Himmel.
In all den folgenden Jahrhunderten bis heute stritten und streiten sich die Gelehrten weiterhin darüber, ob die Reise real oder im Traum stattgefunden habe. Heute ist der Glaube an die Himmelsreise des Mohammed ein islamisches Dogma.
Festgesetzt aber hat sich der Glaube daran, die eigentliche Himmelsreise sei von Jerusalem aus gestartet. Noch heute wird dort an der Südwest-Ecke des Tempelberges das Loch im Stein gezeigt, das Engel Gabriel für al-Boraq gebohrt habe. Es befindet sich unterhalb des sog. Robinsonbogens. Der Monat, in dem die Himmelsreise stattfand, ist bis heute in Fastenmonat. Am 31. Juli feiert man dann das Fest Lailat al Miraj, das Fest der Himmelsreise des Mohammed. In manchen Ländern werden an diesem Tag die Städte mit Lichtern und Kerzen beleuchtet, und die Kinder versammeln sich in den Moscheen und lauschen der Geschichte der Reise des Propheten durch alle sieben Himmel.
Auch al-Boraq hat seine Spuren hinterlassen, wurden doch zwei Fluglinien nach dem Flugpferd benannt: Buraq Air, Libyen, und die Bouraq Indonesia Airlines.
Erlebte Mohammed eine Zeitschleife? Eine "globale Kausalitätsverletzung" oder "Pathologie", wie der Physiker Frank J. Tipler eine mögliche Reise benannte, bei der der Reisende an den Ausgangspunkt UND in die Ausgangszeit zurückkehrt? In diesem Fall aber müsste Mohammed in eine Zeit zurückgekehrt sein, die mindestens eine Sekunde später war, als seine Startzeit - denn wäre er in die genaue Startzeit zurückversetzt worden, so wäre er sich selbst begegnet!

http://www.koransuren.de/
Alfred Bertholet: Religionsgeschichtliches Lesebuch, Heft 16, Tübingen 1931
Herbert Busse: Jerusalem in the story of Muhammad's night journey and ascension. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Nr. 14, 1991
Frederick S. Colby: Narrating Muhammad's night journey. New York 2008
Inge Dreecken: Tausendundeine Nacht. Hamburg 1982
B. Schrieke: Die Himmelsreise Mohammeds. In: Der Islam 6, 1916

s. Tausendundeine Nacht: Da erlebt ein ägyptischer Sultan eine Zeitschleife, nachdem er mit seinen Gelehrten über Mohammeds Himmelsreise diskutierte.
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